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  • varadi

139 Beiträge seit 17.04.2021

Nicht nur die Politik

Nicht nur die unzureichende demokratische Repräsentation weiter Bevölkerungsschichten trägt dazu bei, dass eine autoritäre Politik anerkannt wird. Auch Wissenschaft und Medien tragen hierzu bei.

Weder neoliberales Nudging, noch die autoritäre Eu-Politik in der Finanzkrise (Stichwort EU-Troika), noch die Orchestrierung der Corona-Maßnahmen fanden in Wissenschaft und Medien eine öffentlichkeitswirksame Kritik, sondern wurden ganz im Gegenteil liebevoll begleitet. Hier ließe sich noch vieles anfügen, z.B. die autoritären Zwänge der Arbeitswelt oder der Konformismus bewirkt durch die Leistungsgesellschaft oder die Auswirkungen einer wachstumsorientierten Gesellschaft.

Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass eine autoritär-technokratische Politik breite Zustimmung erhält. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Und auch der Autor selbst leitet den Artikel ein, mit einem Verweis auf die AfD, anstatt klar zu machen, dass autoritär-technokratische Politik Bestandteil des herrschenden demokratischen Systems ist.

Es könnte sich auch die Frage stellen, warum wissenschaftliche Untersuchungen zu Repräsentationsdefiziten ehre spärlich sind; die Studie von M. Gilens wurde im Übrigen im Artikel falsch verlinkt und führt zu der Stude von L. Elsässer, womit die Forschung in diesem Bereich meines Wissens auch schon erschöpft wäre. Was nicht untersucht wird, kann auch nicht gefunden werden. Und wenn der Autor den Armutsbericht 2016 erwähnt, könnte er auch berichten, wie dieser von der Bundesregierung entschärft wurde.
link: https://www.lobbycontrol.de/wp-content/uploads/LobbyControl-Versionsvergleich-Armutsbericht-kommentiert.pdf

Ein Beispiel für die praktischen Auswirkungen von Lobbyarbeit findet man in dem Artikel "Die Rücknahme von Inkassokostenklagen und die Arbeit der Lobbyisten", in VuR 2020, 201 (nicht öffentlich zugänglich).
link: http://www.rechtsanwalt-jaeckle.de/Veroeffentlichungen

ZItat:
"Bei dem neuen Inkassogesetz handelt es sich um exemplarisches Anschauungsmaterial über die Art und Weise, wie intransparenter Lobbyismus in Deutschland funktioniert, sowie über die ihm zukommende Wirkungsmacht. Wenn nämlich den Interessenvertretern [...} die Türen zu den Parlamentsgebäuden jederzeit offenstehen, [...] kommt es zu derartigen, das Allgemeinwohl gefährdenden Schieflagen.
[...]
Zu betonen ist, dass diese Dinge nicht notwendigerweise etwas mit individuellem Fehlverhalten zu tun haben müssen. Vieles ist auch schlicht der Not geschuldet, dass der Gesetzgeber einen Entwurf zu einer Materie fertigen muss, mit der er nicht hinreichend vertraut ist, und mit der er angesichts der ungeheuren Komplexität unserer heutigen Lebensverhältnisse auch gar nicht vertraut sein kann. Aber genau an diesem Punkt schlägt die Stunde der Einflüsterungen der Lobbyisten. Daher ist nachdrücklich an Art. 38 Abs. 1 GG zu erinnern, wonach die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes sind."

Natürlich sind es nur Schwurbler, Rechte und Delegitmierer, die unsere schöne Demokratie gefährden. Die Bevölkerung muss das alles richtig erklärt bekommen, damit sie wieder das richtige Gefühl bekommen.
Der Autor schreibt: "Die empirischen Ergebnisse der Forscher:innen zeigen, dass die Europäer einen wesentlichen Punkt treffen, wenn sie das Gefühl ausdrücken, nicht in einer Demokratie zu leben."
Diese Ausdrucksweise im Artikel tut wieder genau das, was der Artikel kritisiert. Die empirischen Ergebnisse beweisen, dass der Eindruck der Europäer tragfähige Anhaltspunkte hat und es nicht nur ein "Gefühl" ist.

Es ist kontraproduktiv, wenn der Autor die politische Enfremdung an der AfD festmacht und nicht die konkreten Akteure der Gesellschaft, ihre öffentlichen und privaten Institutionen, die diese Entfremdung strukturell herbeigeführt haben, in die Pflicht nimmt.

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