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Avatar von auf_der_hut
  • auf_der_hut

mehr als 1000 Beiträge seit 07.05.2008

Re: Demokratie heißt Herrschaft des Volkes

Das ist ja ein Allgemeinplatz. Die Frage ist, was "Herrschaft" meint.

Bedeutet es, dass jede politische Frage vom ganzen Volk entschieden wird? Oder nicht vielmehr, dass das Volk bestimmt, wer regiert? Lässt sich jede politische Frage auf ein "ja" oder "nein" herunterbrechen? Ist ein Kompromiss, dem 80% zustimmen nicht oft besser als ein Ja /Nein Referendum, dass 49% Verlierer produziert und die Bevölkerung spaltet? Wie werden die Rechte von Minderheiten und die der nicht Stimmberechtigten gewahrt?

Direkte und repräsentative Demokratie stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Direkte Demokratie entmachtet ein Stück weit die gewählte Regierung und machen es schwerer, unpopuläre aber vielleicht notwendige Maßnahmen durchzusetzen. Das Konzept der allermeisten Demokratien weltweit basiert darauf, dass Abstimmungen über das WER aber nur ausnahmsweise über das WAS entscheiden.

Interessant ist auch, dass sich die politische Landschaft im Unikat Schweiz keineswegs fundamental von den anderen, weniger direkten Demokratien unterscheidet. Die Zufriedenheit ist zwar etwas besser als im europäischen Durchschnitt, der Aussage "Ich bin mit der Politik in der Schweiz zufrieden" stimmen aber trotzdem nur 3% der Schweizer zu.

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/409433/umfrage/politikzufriedenheit-in-der-schweiz/

Wenn jede Einzelfrage vom ganzen Volk abgestimmt wird kommt man schnell in den Bereich von Zufallsmehrheiten, einer Diktatur der Aktivisten. Die durchschnittliche Wahlbeteiligung bei den schweizer Volksentscheiden liegt bei deutlich unter 50%, eine große Rolle spielt dabei, welche Fragen an den Abstimmungsterminen gebündelt werden. Mehr als die Hälfte der Schweizer nehmen anscheinend ihr gutes Recht in Anspruch, sich für viele der Fragen nicht zu interessieren. Entscheidend ist oft weniger, wer die besseren Argumente hat als vielmehr welcher Seite es gelingt, die eigentlich Desinteressierten zur Stimmabgabe zu bewegen.

Ich denke, es hat gute Gründe, dass das "schweizer Modell" weltweit kaum Nachahmer gefunden hat.

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