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  • observer3

mehr als 1000 Beiträge seit 31.12.2005

Der Artikel hat einen umfassenden philosophischen Ansatz zum Thema.

Für genau so etwas gibt es einen gewaltigen Bedarf in der westlichen
globalen Gesellschaft, weil ein Koordinatensystem fehlt, bezüglich
der Einordnung der Ereignisse wie auch der Entwicklung von
Beurteilungs- und Handlungsmasstäben, beides essentiell für eine
bewusste Gestaltung (alternativ zum "Walten des Schicksals") der
Zukunft.

Das heisst aber noch lange nicht, dass der Artikel in allen Punkten
seinem eigenen Anspruch gerecht wird, oder in allen Punkten "Recht
hat". 

Ausgehend von einem Naturwissenschaftlichen Ansatz bräuchte es eine
Philosophie, welche die verschiedenen komplexen menschlichen Kulturen
aus der Evolution der Lebewesen heraus beschreibt und verständlich
macht.

Vor den Fragestellungen des Autors stehen dann noch frühere,
fundamentale Fragen.
Z.B. die, warum sich in allen Kulturen Religionen herausgebildet
haben und was deren biologische oder gesellschaftliche Funktion war
und ist.

Wie immer in der Philosophie sind die Begriffe und ihre gegenseitige
Abgrenzung ein Problem. (Wie einfach sind in dieser Hinsicht dagegen
die Naturwissenschaften, wo z.B. Begriffe wie Impuls oder
Geschwindigkeit für alle klar definiert sind.)
Was ist eine Religion?
Wenn das nicht klar definiert wird, kann jedes komplexe Muster
geistiger Auffassungs-Prinzipien oder Handlungsmasstäbe zur
"Religion" erklärt werden.
Schon wird aus Wissenschaft "Logostheologie".
Dahinter stehen unsaubere Begriffsdefinitionen.

M.E. kann die Entstehung von Religionen und ihre Funktion nicht
getrennt werden von der Herausbildung großer und komplexer
Machtstrukturen in der Menschheit, die auf diese Weise in jedem
einzelnen Individuum verankert wurden.
Da die Religion den Anspruch hat, über den Tod hinaus zu weisen,
stellt sie auch ein Machtinstrument dar, den einzelnen Menschen bis
inklusive seines eigenen Todes für den göttlichen Zweck (z.B. einen
Kreuzzug) zu verpflichten.

Darüber hinaus bietet die Religion auch eine Welterklärung und
einfache Antworten auf die Frage nach dem Woher und dem Sinn der
Existenz, welche gelegentlich intelligente und sensible Menschen
umtreiben.
Die Entstehung des Bewusstseins hat zu einer Entfremdung des
individuellen Lebewesens von seiner Umwelt geführt.
Darunter leidet es und die Religion bietet hier Rezepte zur
"Erlösung" von zweifelndem (und kritischem) Denken.

Die Befreiung von der geistigen Bevormundung durch Religion war ein
gewaltiger emanziopatorischer Akt in der abendländischen Kultur. Das
scheint mir der Autor vergessen zu haben.
Hierzulande wird es schwierig werden, heute z.B. Freiwillige zu
finden für einen Feldzug zur "Reinigung" des Grabes Christi von den
darum herum lebenden Ungläubigen. Zum Glück.

Natürlich ist es so, dass auch ohne Religion Masslosigkeit und
Größenwahnsinn um sich greifen können und auch ein Verlust jeglicher
menschlicher Wertmasstäbe eintreten kann. Der Nationalsozialismus war
ein Beispiel.
Ob man das mit Religion gleichsetzen kann, wage ich zu bezweifeln.

Es hat eher zu tun mit eigenen Absolutheitsansprüchen.
- Der eigene Clan / Stamm / Rasse / Gesellschaft hat immer Recht
- Wir haben die höheren Wertmasstäbe.
- Wir wissen, was gut ist, für den Rest der Welt
- Wir brauchen uns für unser Handeln nicht zu rechtfertigen
- Wer anders denkt und handelt als wir ist automatisch unser Feind
- Wir haben das Recht, unsere Masstäbe mit Feuer und Schwert in der
Welt zu verbeiten. Sie sind ja schliesslich die einzig richtigen.

Wir sehen diese Einstellung heute wieder aufkeimen in unserer
Gesellschaft.
Und sie braucht keine Religion, kein höheres Prinzip auf die sie sich
beruft.
Die Menschen, die sich so etwas einreden, glauben auch so, dass sie
im Recht sind.

Ich gebe zu, es ist ein simples Bild, aber m.E. kommen die Probleme
der Menschheit dadurch zustande, dass es Menschen gibt, die über
andere Macht haben wollen, die andere beherrschen wollen.
Früher mehr durch physische Gewalt, in unseren heutigen Kulturen mehr
durch subtile Beeinflussung, Ausbeutung und Übervorteilung.
Diese Menschen sind durchaus intelligent und bilden komplexe
Strukturen, in welchen sie ihre Macht über andere entfalten können.

Was treibt solche Menschen an?
Warum sind sie so?
Der Großteil der Menschen ist anders. 
Der zieht seine Bestätigung daraus, dass er anderen Menschen helfen
kann.

Dieser Unterschied ist m.E. entscheidend und weitgehend unverstanden.

Wie diese "Machtrmenschen" dann in ihren Netzwerken agieren und
welche Instrumente zur Beherrschung anderer sie entwickeln oder
benutzen (Religionen, Ausbeutungs-und Unterdrückungssysteme, ...) ist
eine Folge des ersten Problems.

Man kann m.E. die ganze menschliche Geschichte beschreiben als die
Herausbildung jeweiliger Machteliten, die Unterwerfung ihrer
Mitmenschen, Kriege, in welche Machtmenschen ihre unterworfenen
Mitmenschen hetzten.
Die Unterwerfung der beherrschten Mitmenschen findet dabei auf allen
Ebenen statt:
Heute überwiegend psychisch/mental durch Meinungsdruck, Zwang zur
Konformität (drohende Ausgrenzung), Manipulation durch Medien, ... 
Schliesslich kam und kommt es zum Zusammenbruch ganzer
Macht-Imperien.
Danach fängt das Spiel wieder von vorne an.

Das geht alles sowohl mit als auch ohne Religion. 
Und dieses Muster wiederholt sich auf einer immer höheren Ebene von
psychischen Manipulationsmitteln und physisch/militärischen
Machtinstrumenten.
Entsprechend sind die menschlichen Opfer beim Clash oder Kollaps der
Machtsysteme immer größer.

Bisher konnte leider noch keine Philosophie, schon gar keine Religion
an diesem Muster grundlegend etwas ändern.  


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