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  • domvaz, Dominique Vazquez

mehr als 1000 Beiträge seit 07.04.2014

Du sollst keine anderen Götter (Wahrheiten) neben mir haben!

Begeht Herr Ritz nicht denselben Fehler eines unipolaren Denkens,
indem er das abendländische Denken als einziges überhaupt wahrnimmt
und so auch nicht umhin kann, von "der" Wahrheit zu sprechen? Aber
wenn man einen derart dogmatischen Gott wie diese abrahamitische
Erfindung namens "Herr Gott" im Kopf hat, der allen anderen Göttern
(Wahrheiten) die Existenz abspricht, dann geht das wohl nicht anders. 
Und auch die Negation dieses Gottes ist kurioserweise, aber nicht
sonderlich verblüffend - ebenso dogmatisch. Du sollst keine anderen
Götter (Wahrheiten) neben mir haben! Das erleben wir gerade
tagtäglich in der Presse: Es gibt nur EINE Wahrheit - die
Übereinstimmung mit dem Faktischen ist dabei übrigens immer schon
irrelevant.

In der ostasiatischen Kulturwelt (Japan) gibt es diese dogmatische
Vorstellung nicht. Wahrheit(en) werden dort als abhängig von dem
jeweiligen Standort gedeutet und dementsprechend nicht ein Sieger
gesucht, sondern ein Konsens. Dieses Denken geht bis in den Alltag
und die Rechtsprechung. Bei einem Nachbarschaftsstreit z. B. hätte
ein Kläger wenig Aussicht, dass sein Fall überhaupt von einem Richter
verhandelt wird, wenn er nicht nachweist, dass er versucht hat, einen
eigenen Beitrag zur Lösung des Konflikts zu leisten. 

Man kann einwenden, es gehe in dem Interview um Europa, aber von
anderen, gar den Gelben, zu lernen, ist etwas, was Europa bis heute
noch nicht gelernt hat. Dabei wäre das in Zeiten von Sackgassen
vielleicht mal eine Alternative. Aber dazu ist "der Westen" zu sehr
damit beschäftigt, anderen zu predigen, wie sie sich zu benehmen
haben. So übten westliche Ärzte z. B. Zwang auf japanische Ärzte aus,
sie müssten unheilbaren Patienten die Wahrheit sagen, das stehe dem
Patienten zu. Die Folge: zahlreiche Suizide unheilbar kranker
Menschen in Japan. Das Beispiel sollte zeigen: Von anderen Kulturen
lernen soll nicht heißen, ein Stück rausschneiden und gewaltsam der
anderen aufzupfropfen (das führt auch in der Natur zu Katastrophen),
sondern wenigstens einmal die eigene geistig-kulturelle
Beschränktheit ansatzweise zu erkennen, die Gitter seines
Gefängnisses zu fühlen.


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