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  • n33

619 Beiträge seit 15.05.2014

(@)Ritz: Ein sehr wahrer Spengler in Rot

Zunächst einmal vielen herzlichen Dank für dieses sehr
aufschlussreiche und gut lesbare Interview an Herrn Ritz und Herrn
Schreyer! Insbesondere auch für den Mut, so unzeitgemäß und
übergeschichtlich einen Bogen zwischen uns und unserer weiteren
Vergangenheit zu ziehen. Er zeigt, dass Herr Ritz es Ernst meint
damit, Wissen und Erkenntnis zu vertrauen. 
Und die ersten widerstrebenden Antworten einiger Mitforisten beweisen
im Grunde schon, wieviel Wahrheit und vielleicht sogar Weisheit in
dem Interview steckt. 

Aber ein Punkt fehlt, und ich übergebe ihn hiermit der
Forenöffentlichkeit und vielleicht auch Herrn Ritz zur Disposition: 
Wo Ritz und andere die Geschichte als eigentliche Erscheinung des
Absoluten begreifen, kann man durchaus auch ein organisches oder
ästhetisches Ganzes erblicken, das einlädt, tiefere Wahrheiten zu
erkennen, aber nicht identisch mit dem Absoluten ist. Die Geschichte
ist in dieser Sichtweise nicht an sich normativ oder absolut, sondern
nur dessen mögliches Sinnbild, das unaufhörlich neuen Deutungen
unterworfen ist. 
Die kommunistisch-religiöse Bedeutungsaufladung der geschichtlich
revolutionären Tat verschwindet so natürlich und macht im schlimmsten
Fall einem schwelgerischen Polit-Ästhetizismus des einsamen,
unverstandenen Genies Platz, so wie es Oswald Spenglers "Untergang
des Abendlandes" gezeigt hat. 

Man kann diesen Ästhetizismus sogar auch mit kommunistischer
Heilserwartung verknüpfen und damit die politische Apokalypse zur
eigentlichen Offenbarung erhöhen. Ich denke, das tun derzeit nicht
wenige, und es ist durchaus möglich und erhellend das konsequent zu
tun. Meine provokante Bezeichnung Ritzens als "Roter Spengler" ist
durchaus nicht abwertend gemeint. Es ist außerordentlich befreiend,
wenn sich jemand diesen schöpferischen Widersprüchen aussetzt! So
kommen wir weiter - und das müssen wir. 

Dennoch muss dich darauf hinweisen, dass die Geschichte an sich eben
nicht identisch mit dem Absoluten ist, sondern auch stimmig als ihr
präzises Gegenteil, d.h. als jederzeit deutbares Symbol verstanden
werden kann. Diese Sichtweise nimmt m.E. einen Teil der Last unserer
lebenszeitlichen Bedingtheit von uns und betont stattdessen die reale
Möglichkeit aus dem Absoluten zu schöpfen - bzw. ohne Pathos: bereit
zu bleiben für gute Entscheidungen angesichts der politischen
Verwirrung allüberall. 
Das gilt vor allem auch für die Naturwissenschaft, in der man doch
sehr mainstream-mäßig überzeugt ist, dass man dort gar nichts mehr
ernsthaft drehen oder gar entdecken könnte bei soviel "Vergangenheit"
- obwohl das Gegenteil der Fall ist!  (Mein persönlicher Favorit in
diesen Dingen ist Ernst Barthel, aber das nur am Rande.)

Vielen Dank also nochmal für das Interview, ich werde mir ihr Buch
beschaffen, Herr Ritz! 
Mit freundlichen Grüßen (heute mit Klarnamen)
Niels Festenberg

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