interessieren vermutlich niemanden, doch hier sie sind:
1. Radfahrer:innen halten sich nicht an Regeln
Hier stimme ich der Autorin voll zu. Ja, Radfahrer missachten Regeln und ich rege mich sowohl als Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer immer darüber auf. Da aber Fußgänger, Autofahrer und sogar die Profis im Straßenverkehr - Busfahrer und Brummis - mindestens genauso Regeln missachten, werden Radfahrer hier oft zu Unrecht alleine an den Pranger gestellt.
2. Straßen sind für Autos gemacht
"Straßen" gibt es tatsächlich noch nicht sooo lange, sondern erst seitdem Fahrzeuge mit Rädern eingesetzt wurden, um Personen und Gegenstände über weite Strecken zu bewegen. Fußgänger, Pferde und meist auch Fahrräder brauchen keine Straßen, sondern können auch auf weniger befestigten Wegen genutzt werden. Insofern sind heutige Straßen tatsächlich zu Recht für Autos gemacht. Interessanter ist die Frage, ob man aber so viele Straßen wegen der vielen Autos braucht, oder ob es so viele Autos wegen des ausgebauten Straßennetzes gibt.
3. Es gibt nicht genug Platz für Radwege, ohne dass es zu Stau kommt
Hier stimme ich der Autorin wieder voll zu. Platz ist eine Ressource die effizient genutzt werden muss. Und breitere Straßen sind oftmals eben nicht förderlich, nicht einmal wenn man nur den Autoverkehr für sich betrachtet. Das trifft im Übrigen nicht nur auf Städte sondern auch insbesondere auf Autobahnen zu. Wenn niemand schneller als 130 fahren würde, bräuchte keine Autobahn mehr als zwei Fahrstreifen.
4. Radfahrer:innen sind gefährlich
Das Vorurteil kannte ich noch garnicht und finde es ebenfalls ziemlich eigenartig. Also natürlich sind Radfahrer gefährlich, aber sicherlich weniger gefährlich als SUV-Piloten im täglichen Häuserkampf-Manöver.
5. Radfahrer:innen sind selber schuld
Victim blaming ist tatsächlich ein Problem und da stimme voll zu. Mit den letzten Absätzen habe ich allerdings meine Probleme. Tempo 30 ist wieder willkürlich gewählt, genauso könnte man 15 km/h oder Schritttempo vorschreiben. Verringerte Tempolimits helfen sicherlich das Problem zu verringern, aber nicht es zu lösen. Das muss imho über die Verkehrsplanung geschehen - und dann kann auch in Städten Tempo 50 und mehr möglich sein.
Bzgl. Dreck und Lärm hilft Tempo 30 auch wenig - zumindest aktuell noch. Viele Verbrenner sind für 50 km/h ausgelegt und arbeiten bei 30 km/h sehr ineffizient. Das Resultat sind kaum verringerte Geräusche und Abgase bei längerer aktiver Zeit - ergo ein Fehlschluss. Wenn der Anteil der Elektrofahrzeuge entsprechend hoch wäre, sähe das natürlich anders aus.
6. Radfahrer:innen wollen, dass alle aufhören Auto zu fahren
Ich denke hier verhält es sich ähnlich wie bei Punkt 1. Radfahrer ärgern sich über schnelle PKW und langsame Fußgänger, Autofahrer über Radfahrer und Busse/LKW etc. Und alle wünschen sich, dass "die anderen" weg wären.
7. Autofahrer:innen zahlen für die Straße, also sollten sie Vorrang haben
Das sind alles ganz komische Studien und unvollständige Argumentationen. Natürlich finanziert die Allgemeinheit unsere Verkehrswege. Dass Fußgänger Geld erwirtschaften indem sie gehen ist natürlich totaler Quatsch - sie verursachen lediglich weniger Kosten, die aber weiterhin > 0 sind.
Bzgl. der Frage wer wie viel wofür bezahlen sollte und ob das gerechtfertigt ist, kann man auch ganz provokativ die Frage stellen, wie viel Geld Autofahrer im Schnitt der Gesellschaft zuführen und wie es um Nicht-Autofahrer steht.
Schlussendlich fallen immer Baukosten an - die Frage ist nur wofür. Solange Radfahren in der kalten Jahreshälfte nur eingeschränkt möglich (vereiste Radwege) und der ÖPNV oftmals kaum zumutbar (> 1.5 fache Fahrtzeit zzgl. Verspätungen) ist, werden Autofahrer nicht umsatteln. Das Gnaze ist ein Henne-Ei-Problem das es in den nächsten Jahren zu lösen gilt.
8. Autofahrer:innen haben Recht!
Auch wenn ich dem Gleichberechtigungsgedanken zustimme, gibt es durchaus gute Argumente für die aktuellen Regelungen. Energetisch und damit ökologisch ist es sinnvoll schwere Objekte möglichst wenig zu beschleunigen. Wenn ein Auto also einmal rollt, sollte man es möglichst nicht abbremsen müssen um "Dreck und Lärm" zu vermeiden. Mit potentiellen Unfallrisiken verhält es sich genauso. Gleichberechtigung hätte man in dieser Hinsicht nur, wenn sich alle Verkehrsteilnehmer mit der gleichen kinetsichen Energie bewegen würden.
Außerden ist der zuletzt angemerkte Widerspruch keiner. Angenommen 5% der Autofahrer missachten den Mindestabstand zu Fahrrädern, diese fahren aber überproportional viele Kilometer und begegnen 97% der Verkehrsteilnehmern - das ist doch vollkommen schlüssig. Gerade in einem Artikel in dem man mit Vorurteilen und falschen Argumentationen aufräumen möchte, sollte man seine eigene Wortwahl und Argumentationsketten mit Bedacht wählen ;)
9. Radfahren ist bloß eine Modeerscheinung
Die 1950er Jahre und Millenials als Argumentationsgrundlage zu verwenden halte ich durchaus für gewagt. Außerdem werden die Beweggründe für das Verhalten der "jüngeren" Generation (U40 ist jetzt jung?) außen vor gelassen. Fahren diese Menschen vielleicht mehr Rad, weil sie sich ein Auto bzw. einen Parkplatz für ein Auto nicht leisten können/wollen? Sind diese Menschen tatsächlich so viel differenzierter oder können sie sich oftmals weniger frei entscheiden? (Ich kenne die Antwort im übrigen nicht.)
10. Es gibt einen Krieg gegen das Auto
Die einen nennen es "Krieg", die anderen "längst überfällige Maßnahmen". Gemeint ist das gleiche und jeder der meint, die eigene Wortwahl wäre die treffendere, begibt sich in die gleiche Schlammschlacht. In jedem Fall gibt es Veränderungen bei denen das Auto schlecht weg kommt. Insgesamt sind die Veränderungen allerdings richtig, da individuelle Mobilität in Form des Automobils gesamtgesellschaftlich ein Luxusgut ist, das wir uns so nicht länger leisten können. Es muss weniger Autos und mehr Alternativen geben. Persönlich habe ich allerdings auch den Eindruck, dass momentan primär Autofahren unattraktiver gemacht wird, die Alternativen allerdings nicht gleichwertig ausgebaut werden.
11. Menschen brauchen Autos
"Brauchen" ist ein starkes Wort, was man im Bezug auf Autos immer widerlegen kann. Realistisch betrachtet erweitert ein Auto den möglichen alltäglichen Bewegungsradius enorm - insbesondere wenn kleinere Güter transportiert werden müssen. Selbst ein exzellent ausgebautes ÖPNV-Netz wird das nicht erreichen. Dieser Bewegungsradius erlaubt es erst, dass viele Institutionen heute so zentriert angelegt sein können. Große Einkaufszentren in denen man alle Einkäufe auf einmal erledigen kann wären ohne Auto oftmals kaum möglich. Oder was ist einer Pflegekraft in einer Großstadt eher zuzumuten: > 1h Anfahrtsweg mit dem Rad/ÖPNV oder eine unbezahlbare Stadtwohnung? Wenn ein Auto nicht als Freizeitvergnügen genutzt werden sollte, was ist dann mit Reiten, Mountainbiking, Klettern, Segelflug, ...?
Ich bin voll und ganz dafür, dass unnötige Autofahrten vermieden werden sollten, aber das Auto - auch der private PKW - hat durchaus eine Daseinsberechtigung. Der alltägliche Straßenverkehr ist definitiv aus der Balance geraten, sodass das Ziel sein muss wieder ein gesundes Gleichgewicht herzustellen. Wir müssen aber sehr gut aufpassen, dabei nicht ein neues schiefes Konstrukt aufzubauen.
Das kann nur gelingen wenn wir bei der Frage, wie wir eigentlich leben wollen, einen gesamtgesellschaftlichen Konsens finden. Wollen wir wirklich wieder an jeder Ecke einen kleinen Tante-Emma-Laden, bei dem man eine Sorte Wurst, Käse, Bier und keine Waschmaschine kaufen kann? Oder finden wir manchen "Fortschritt" den das Auto überhaupt erst ermöglicht doch erhaltenswert?
PS: An alle die sich über die geschlechterneutrale Sprache der Autorin aufregen: STFU und lest doch einfach was anderes - den Stürmer oder so...