Fahrradfahrer sind Opfer
Ich bin als Fahrradfahrer in der Stadt gefahren wie eine Wildsau. Ich war jung, schnell und dumm. Eine meiner Spezialitäten war das schnelle um die Ecke schiessen aus einer Seitenstrasse in die Hauptstrasse. Dabei darf man nicht nach hinten sehen, also dem Verkehr keinerlei Aufmerksamkeit schenken. Man muss beim Einbiegen auf die breite Hauptstrasse unbedingt auf dem Bereich direkt neben dem Randstein bleiben. Oft ist dort eine Schicht Steine. Bevor der Teer beginnt. Auf den Steinen fährt man lang!
Fährt man so eng am Randstein ist darauf achten, bei jedem Pedaltiefpunkt des rechten Pedals einen kleinen Schlenker nach links zu machen. Sonst kracht es fürchterlich. 20 cm reichen. Kein Problem für einen geübten Fahrer, also jemanden der seine Füsse auf den Pedalen eingerastet hat und der an der Ampel einfach das Fahrrad ausbalancieren kann. Füsse bleiben in den Pedalen.
Was mich an der Technik etwas zweifeln lies waren zwei Geschehnisse.
Ich bog in einen Strasse ein, die an dieser Stelle von zwei Spuren auf eine wechselte. Üblicherweise sortieren sich dort die Autos kurz vorher ein und es ist Platz satt. Nicht so an diesem Tag, es war viel Verkehr. Ich fuhr, ohne darauf zu achten in die Hauptstrasse und plötzlich zog ein SUV an mir vorbei. Enger als erwartet, man war doch noch zweispurig unterwegs. Erster Schreck. Allerdings kam der SUV vom Markt und zog einen kompletten Käsestand hinter sich her. Überraschung!
Der Stand war um einiges breiter als das SUV und ich weiss bis heute noch nicht, wie der Anhänger und ich aneinander vorbei kamen ohne dass er mich auf dem Gehweg zerbröselte.
Danach wurde ich etwas vorsichtiger.
Wie das aus dem Auto aussah erlebte ich dann etwas später:
Ich sass in meinem Auto, fuhr gemütlich auf einer Hauptstrasse lang, als ein Radfahrer, meiner oben geschilderten Technik folgend und ohne auf den Verkehr zu achten in die Hauptstrasse einbog. Im Auto bekam ich fast einen Herzschlag. Ich verstand zum ersten Mal: Es war für einen Autofahrer in der Schnelle nicht zu unterscheiden, ob der Idiot auf dem Fahrrad nur um die Ecke bog oder ob er einfach mitten in den Verkehr raste.
Mein Fazit aus meiner Vergangenheit:
- Wer nur mit dem Fahrrad unterwegs ist, sollte den Autoverkehr nicht verurteilen. Denn man hat: "No skin in the game".
- Wer nur mit dem Auto unterwegs ist sollte den Fahrradverkehr nicht verurteilen. Denn man hat: "No skin in the game".
- Alter, Wohnlage, Geschwindigkeit, Nutzungsprofil führen zu völlig unterschiedlichen Blickwinkeln.
z.B.
Wer mit dem Fahrrad schnell unterwegs ist, hat andere Sichtweisen als der Freizeitradler mit 15 kmh und Ballonreifen. (Mit dem Rennrad und 40 h/km ist es unmöglich auf einem Radweg zu fahren der 5 Zentimeter schwellen eingebaut hat oder an dessem Rand Kinder hin und her rennen).
(Alte Leute haben im Verkehr andere Bedürfnisse als junge Menschen. Für manche bedeutet die Abgabe eines Autos fast eine komplette Immobilität. Addieren sie mal die folgenden Attribute: Land, hügelig, 175 cm, abgearbeitet, 70 jahre, 110 Kilo, 8 Busse am Tag und nur von A-B und B-C, aber nie von A-C, abgearbeitet, Kreuzschmerzen, etc.
Heute hat so jemand er ein Auto, einen Kleinwagen mit dem er in der Woche vielleicht 30 km unterwegs ist. Er fährt wenig, nur Kurzstrecken aber fast täglich. Er ist nie Fahrrad gefahren, keine gute Idee das mit 70 jetzt anzufangen. Was also tun, mit so jemandem? Wegsperren? Seine Umweltbelastung ist gering, seinen letzten Kleinwagen hatte er fast 30 jahre lang. Autos als solche sind ihm völlig egal, er will nur zum Geburtstag, in die Kneipe, jemandem bei den Steuern helfen, zu alten Kollegen. Ohne Auto, fast unmöglich. Und nun?)
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (07.12.2021 14:40).