Mal ein Szenario.
Ich bin Pendler. Mein Auto fährt einmal morgens halb 8 bis viertel 9 ca. 30km Strecke. Am Abend, so ab viertel 6 das gleiche retour. Sind 60km Strecke zu rund anderthalb Stunden insgesamt. Die Zeit dazwischen steht mein Fahrzeug halt rum und es ist ein klassischer Verbrenner.
Wenn ich daheim bin, könnte ich ein E-KFZ nicht laden mangels privater Wallbox. Der Vermieter erlaubt keine nachträgliche Elekrifizierung. Eine Inselanlage auf dem Dach der Garage wäre zwar möglich und hätte rund 1,2kw installierte Leistung, aber da mein Auto nur nachts daheim steht, müsste die tagsüber gewonnene Energie gepuffert werden. Gehen wir von 4 Stunden Peak aus und sind großzügig mit je zwei weiteren Stunden vor und nach dem Peak mit halber Leistung, sind wir grob überschlagen bei 6 Stunden Peak. Gibt bei 1,2kw also in 6 Stunden 7,2kw Leistung. Die sollen eingepuffert werden, einschließlich Verluste, komme ich auf vielleicht 6,5kw real gepufferter Leistung. Ein normaler E-PKW hat aber 60 - 80kwh Kapazität, also mindestens das zehnfache dessen, was meine kleine Insel an einem durchschnittlichen Tag einpuffern kann. Auch das Umladen vom Puffer-Akku in den E-PKW geht mit Verlusten einher und natürlich ist die DoD-Restkapazität zu beachten. Dat lohnt net. Selbst wenn ich dürfte - mehr als einen E-Kabinenroller kann man auf die Weise nicht betreiben.
Im Geschäft gibt's keine Ladestation. Eine Kollegin kommt mit ihrem Ioniq hergefahren und muss, wenn er geladen werden will, zusätzlich 400m Fußweg laufen, denn erst eine Straßenecke weiter gibt's mehrere Ladestationen für das gesamte Industriegebiet. Wenn mehr Kollegen mit dem E-PKW kämen, wäre da ganz schnell die dünne E-Infrastruktur überlaufen. Und natürlich sollen die E-PKW da laden und nicht die Stromnetze "entlasten": egal ob man sich an die Wallbox daheim anschließt oder im öffentlichen Netz seinen E-PKW läd, am Ende des Vorgangs soll mehr drin sein in den Akkus als vorher.
Selbst wenn also tagsüber die "Entlastung" nicht erforderlich ist, sorgt die dürftige Ladesinfrastruktur dafür, dass gar nicht genügend E-KFZ mit (hoffentlich grünem) Strom aufgeladen werden können. Die meisten Pendler werden also ihre Fahrzeuge daheim über Nacht laden wollen.
Jetzt stell ich mir einfach mal vor, die Idee mit der Entlastung durch die E-PKW würde erzwungen umgesetzt. Dann stelle ich mein Fahrzeug im Glauben, es sei am nächsten Morgen gut geladen, an meine Wallbox oder eine öffentliche Ladestation. 12 Stunden später setz' ich mich rein, drück auf den Startknopf und die Anzeige sagt: Akku leer, 15% Restkapazität. Denn Nachts, wenn keine Sonne scheint und vielleicht kein Wind weht, ist die "Netzentlastung aus E-PKW-Akkus" wahrscheinlich. Dann stehe ich am Morgen da mit einem nicht fahrbereiten E-PKW, weil dieser Nachts zur Entlastung beigetragen hat. Mal sehen, wie lange mein Chef mitspielt, bis es ihm zu blöd wird, weil ich regelmäßig wegs des leergenuckelten E-PKW zu spät komme.
Die Idee, die rollenden Akkus als zusätzlichen "Puffer" für das Netz zu verwenden, klingt auf dem Papier toll. Wenn 1 Million E-PKW mit im Schnitt 60kwh Kapazität gibt 60.000MWh Puffer, die man rumschieben könnte. Je mehr E-PKW, desto größer wird der Puffer. Blöd nur, dass die Infrastruktur zum Laden in Überschusszeiten fehlt (tagsüber) und nachts zwecks "Entlastung" entladen werden müsste. Die Wallbox zu Hause ist aber wahrscheinlich keine Fastcharging-Station, sondern arbeitet mit ein- bis dreifacher Steckdosenleistung (je nach dem, ob eine oder drei Phasen angeklemmt sind). Also 230V x 45A, etwas mehr als 10kW. Allerdings muss die Anlage in beide Richtungen arbeiten und natürlich müssen VDE-Normen eingehalten werden. Balkonanlagen dürfen aufgrund dieser VDE-Vorschriften nur maximal 600VAp einspeisen, warum sollten Wallboxen mit einer höheren Leistung einspeisen können, wenn doch "Elektrosicherheit" dem entgegen steht? Also wenn rückgespeist wird, dann eben mit 600VAp pro Phase und Zähler. Lohnt das überhaupt?
Jetzt rein aus der Überlegung heraus, sowohl was den Sicherheitsaspekt als auch die Nutzungsgewohnheiten der E-PKW-Besitzer betrifft: wie soll das funktionieren mit der Entlastung, wenn tagsüber der E-PKW irgendwo steht, wo es keine Ladeinfrastruktur gibt, um von der Stromüberproduktion aus Sonne und Wind zu profitieren, nachts aber, wenn "entlastet" werden soll, das Fahrzeug an einer heimischen Wallbox über 10 Stunden aufgeladen werden soll und die Wallbox aus VDE-Sicherheitsbedenken maximal 600VAp (1 Phase) rückspeisen darf? Kann mir einer erklären? Was übersehe ich?
Last but not least: was kostet Strom aus der öffentlichen Ladestation, was aus der heimischen Wallbox? Wenn jetzt rückgespeist wird, gibt es dann Premiumvergütung in gleicher Höhe oder gibt's dann 7 Cent pro Kilowattstunde für die Einspeisung aber 70 Cent pro Kilowattstunde für die Entnahme? Wie soll das sinnvoll abgerechnet werden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer Interesse an einer "Netzentlastung" hat, wenn er dabei auf 90% der Kosten sitzen bleibt.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (08.11.2022 11:09).