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27 Beiträge seit 05.05.2002

Versuch einer Rechtfertigung

Lieber Herr Weiß,

für Ihre ausführliche, direkte Behandlung meines Beitrags besten
Dank. Daß ich Ihre Antwort gleichermaßen nicht unkommentiert lassen
kann, werden Sie verstehen.

Lassen Sie mich zunächst auf den „unangenehmeren“ Teil Ihrer Antwort
eingehen, die ich zwar tatsächlich für überflüssigermaßen gehässig,
jedoch zumindest nachvollziehbar halte. Erlauben Sie mir dabei, den
von Ihnen geschmähten „Altar“bereich der Höflichkeit nicht ganz zu
verlassen, und Sie gleichermaßen auch persönlich anzusprechen, worauf
Sie Ihrerseits unerfindlicherweise verzichten.

Wenn ich nicht ganz irre, scheinen Sie mir Dünkelhaftigkeit und
Selbstverliebtheit nachweisen zu wollen. Sie handeln schon ganz
recht, wenn Sie Ihre Antwort splitten, denn dieser Dünkel läßt sich
ja wohl, wenn überhaupt, auf die Stilebene einschränken; inhaltlich
glaube ich nämlich, mich von einer solchen „Zeigefingerfuchtelei“
abzugrenzen. Eine Erklärung für Ihren nach eigen Aussagen
„unangenehmen“ Tonfall glaube ich darin zu finden, daß Sie mir
sophistische (weil geisteswissenschaftliche) Täuschung unterstellen
wollen – immerhin hätte mein Artikel jemanden „hereingelegt“. Das
kann ich so nicht stehenlassen, zumal Sie Ihren Einlassungen den
Anspruch einer „logischere(n)“, gar „mutigere(n)“ Erklärung
unterschieben. Hier verwischen Sie aber eine Kritik meiner Stilistik
mit der meiner Aussagen – es muß nicht alles, was logischer ist, auch
einfacher zu sagen sein. Die Wahl seines Stils allein aber kann dem
Autor eines solchen Beitrags doch nicht zum Vorwurf gemacht werden –
ob man nun einen lakonischen, fremdwortarmen Beitrag verfaßt oder
einen „blumenreichen“, ist ausschließlich Geschmacksfrage und deshalb
nicht streitfähig. Dennoch werde ich im weiteren Verlauf meiner
Antwort auf Latein und ungebräuchliche Fachbegriffe verzichten, wenn
Sie Ihnen zuwider sind, obwohl ich denke, daß in einem Forum wie
diesem auch für dieses Stilniveau und eine gewisse Belesenheit (die
Sie ja hoffentlich nicht verurteilen wollen) Raum sein muß - und ich
mich persönlich auf Ihre Auslegung der Spieltheorie, die ich in
diesem Problemfeld für außerordentlich schwierig unterzubringen
erachte, sehr gefreut hätte. Hinweise auf andere Denker oder
Denkschulen kann ich nebenbei beim besten Willen nicht in meinem
Beitrag entdecken; den Aristoteles haben Sie in den Raum geworfen.

Ihr Vorbehalt gegenüber meinem Stil hindert Sie hauptsächlich daran,
nach inhaltlichen Gemeinsamkeiten zu forschen, die ich für in
genügendem Maß gegeben halte.

So verweigern Sie meinem Beitrag die inhaltliche Konsequenz. Ich
würde ein gegen-traditionalistisches Verfahren fordern, dieser
Forderung aber keine nachdrückliche Behandlung gewähren. Hier kann
ich Ihnen zustimmen: ich wollte auch gar kein Gegenprogramm
verfassen. Meine Absicht war es, den Blick auf Wesentliches zu
lenken: die Diskussion um Staatszensur, Waffenrecht und Schulreform.
Selbstverständlich verweigere ich diesen Dingen nicht den
gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang; das wäre mehr als töricht.
Meines Erachtens versperrt aber eine Diskussion um eine
Täterpsychologie à la „Was ist nur los in unserer Gesellschaft,
wenn...“, wie sie in den Feuilletons und Diskussionsrunden wie diesen
in einer Weise stattfinden, die in ihrer theoretischen Abgehobenheit
den Opfern und auch der Gesellschaft nicht gerecht wird, eine
pragmatische Wertschöpfung. Wenn auf dieser Ebene beharrt wird, kommt
es nie zur Reform; eine Katastrophe wird solange ausdiskutiert, bis
sie wieder vergessen ist.

Das ist auch das „übergeordnete“ gesellschaftliche Phänomen, von dem
sie schreiben, und das natürlich gegeben ist. Es fehlen uns nur ganz
einfach die menschlichen Mittel, gegen ein „übergeordnetes“ Phänomen
direkt anzugehen! Eine Diskussion des schrecklichen Wetters hier in
Berlin bewirkt auch keinen klimatischen Umschwung. Deswegen halte ich
auch die Frage in ihrer Gänze, im Gegensatz zu Ihnen, nicht für
„bearbeitbar“.

Selbstverständlich kann keinem einigermaßen hellsichtigen Menschen
entgehen, welche beklagenswert geringe Rolle die Werte in unserer
Gesellschaft spielen. Diesen Werten sprechen Sie Universalcharakter
zu: sie behaupten, wenn in den Einzelbereichen, meinen „Realia“, die
gesamtgesellschaftliche Wertediskussion entbrennt, wendet sich diese
Gesellschaft zunächst im Kleinen, dann im Großen zum Besseren (wobei
die Glaubwürdigkeit Schaden nimmt, wenn plötzlich „Krieg“ und
„Revolution“ die Folge von erhöhter Verantwortung, Rücksicht und
Pflichtbewußtsein seien sollen – geben Sie zu, hier konnten Sie nicht
widerstehen, Ihre Leser hereinzulegen). Daß in den Köpfen der
Menschen nichts sich ändert, wenn Gesetze geschrieben und Appelle
ausgegeben werden, ist Ihre These; die „Scheißkerl“-Debatte, wie Sie
in vorangehenden Postings auftauchte, klingt wieder an.
Sie müssen aber doch einsehen, daß die Organe der Gesellschaft keine
anderen sind, als eben Gesetzgebung und Erziehung. Eine
„Werterevolution“, wie Sie sie ansprechen, erwarten Sie
augenscheinlich ja auch nicht. Es gibt eben noch keine Instanz, die
„übergeordnete“ Probleme, von deren Sorte wir uns zur Zeit eines zur
Behandlung ausgesucht haben, in hinreichender Weise löst. Es gibt
kein bekanntes Mittel, die Verrohung weiter Teile der Menschheit
direkt aufzuhalten. Allerdings haben wir Gesetze, und diese können
mittelbar diesem Ziel dienen. Werden Gesetze geändert, ändern sich
natürlich nicht gleichzeitig auch die Menschen; aber es ändern sich
durchaus die Bedingungen, unter denen Menschen sich weiter
entwickeln. Das sind realistische Mittel – ihre Behandlung ist
naturgemäß wieder eine gesellschaftliche Angelegenheit. Aber sie
dürfen nicht im Sinne einer allzu ganzheitlich gesinnten
Diskursanalyse außen vor bleiben.

Sollte ich ein eventuell bis dahin bestehendes Mißverständnis in der
Lektüre meines Beitrags ausgeräumt haben, gut; habe ich wiederum Ihre
Antwort mißverstanden, umso besser. In jedem Fall hoffe ich, daß sie
noch einmal zu dem Gesagten Stellung beziehen.

Schöne Grüße,

Leuenhertz

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