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  • Pearphidae

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Re: Irrenhaus Ukraine

Arnulf Mainzer schrieb am 17.08.2023 10:28:

Korrekt, aus falsch verstandener Vasallentreue schädigt die EU - und damit auch Deutschland - ihre Mitglieder, ihre Bürger sowie die Ukraine
Wer brav ist und das tut, was von ihm erwartet wird, kann Karriere machen und aufsteigen (frei nach Hermann Langbein). Oben ist es schön, das wissen auch die Damen und Herren in der EU, allen voran Ursula Gertrud von der Leyen, weshalb sie brav sind (s. hierzu auch Martin Sonneborn „Zum Tod der Idee der Europäischen Union“). Aus etwas anderem Holz sind hingegen französische Politiker geschnitzt. Man sieht in Paris durchaus, dass die eigenen Interessen sowohl Frankreichs als auch der EU eben nicht immer deckungsgleich mit denen etwa der USA sind. Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wenn Macron fordert, Europa müsse strategisch über sich selbst als globale Macht nachdenken, um die Kontrolle sein eigenes Schicksal zu haben. Es ist in der Tat unglaublich, dass knapp 450 Mill. EU-Bürger brav nach der Pfeife von nicht einmal 340 Mill. US-Bürgern tanzen unabhängig davon, ob es den eigenen Interessen entspricht oder nicht.
Nach Aussage aller Politiker sollen die EU-Sanktionen Russland mehr Schaden zufügen als der EU. Das darf durchaus hinterfragt werden, denn der ökonomische Einbruch ist nicht unerheblich, Stichworte Inflation und gestiegene Energiepreise. Hinzu kommen die immateriellen Schäden durch teilweise Beseitigung des Rechtsstaates etwa durch Erweiterung von Sanktionen auf Verwandte russischer Unternehmer. Früher nannte man das Sippenhaft und damit kennzeichnend für einen Unrechtsstaat. Und es geht hier wirklich um Unrecht, denn diese Rechtsänderung ist eine Reaktion der EU auf ein Urteil des Europäische Gerichtshof, wonach Violetta Prigoschina, die Mutter des Wagner-Chefs zu Unrecht sanktioniert worden sei und dass ein Verwandtschaftsverhältnis allein nicht ausreiche, um die Sanktionen zu rechtfertigen. Man versucht hier mithin den Rechtsstaat mit gleichem Rechtsstandard für alle durch eine Art Recht nach Gutsherrenart zu ersetzen. Da sollten aber bei allen Betroffenen, und das sind zumindest alle EU-Bürger, die Alarmglocken sehr laut schrillen!
Doch auch Hilfen wie die zollfreie Einfuhr von landwirtschaftlichen Produkten aus der Ukraine in die EU schädigen uns, wenn sie nicht, wie angekündigt, dass EU-Gebiet im Transit nach Länder in Afrika oder Asien durchqueren. Oft wurden die Güter in der EU eingelagert, sodass z.B. polnische oder rumänische Landwirte ihre Ernte nicht an den Landhandel verkaufen konnten. Hinzu kommt das Problem, dass ukrainische landwirtschaftliche Produkte nicht den EU-Standards entsprechen und damit für den Verbraucher in der EU ein potentielles Gesundheitsrisiko darstellen, wenn z.B. in der EU nicht zugelassene Pflanzenschutzmittel bei ihrer Erzeugung zur Anwendung kamen, was z.B. die Slowakei festgestellt hat. Selenskyj et al. schwadronieren jedoch, dass Milliarden Menschen wie die Fliegen insbesondere in den armen Ländern Afrikas Hungers sterben werden, wenn nicht sofort alle landwirtschaftlichen Produkte der Ukraine den Weltmarkt erreichen. Gleichzeitig mit dem Verdrängen einheimischen Getreides, Ölsaaten usw. vom heimischen EU-Markt durch billigere ukrainische Erzeugnisse steigt die Inflation im Lebensmittelbereich – für wie dumm halten uns eigentlich die Herrschaften in Brüssel und ihre Souffleure in Kiew? Und was beeinträchtigt unsere Sicherheit mehr – Mobilfunktechnik von Huawei oder die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten? Jedem Mitteleuropäer dürften ja wohl die dramatischen Ereignisse insbesondere der Jahre 1916 ff bestens bekannt sein, als infolge der Blockade durch die Briten sowie der Kraut- und Knollenfäule der Kartoffel eine große Hungersnot herrschte. Tut mir leid, ich kann sehr gut ohne Handy leben, nicht jedoch ohne Nahrung. Und ohne meine auf den Äckern kulturschaffenden Berufskollegen bleibt der Teller ganz schnell leer. (Die einzige Berufsgruppe, die Kulturen schafft, sind Landwirte und Gärtner, denn Kultur ist das, was auf dem Boden durch Menschenhand kultiviert wächst.)
Dass Ukrainer, denen ihre Regierung das gestattet (ein Gnadenakt, der eben nicht für alle Ukrainer gilt), in der EU unbürokratisch Aufnahme finden, ist völlig in Ordnung. Nur stellen sich da einige Fragen, etwa die, weshalb etwas über 8 Mill. in der EU registrierte ukrainische Kriegsflüchtlinge kein Problem darstellen, während Kriegsflüchtlinge aus Syrien oder ehemalige Ortskräfte aus Afghanistan an den Grenzen abgewiesen werden. Zumal auch noch abzusehen ist, dass mit zunehmender Dauer und Intensität des Krieges die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge steigen wird, diese sich hier eine Existenz aufbauen und nicht in die Ukraine zurückkehren werden. Das ist doch völlig verständlich, insbesondere bei den Kindern und Jugendlichen, die hier Wurzeln schlagen werden und, sofern es Jungen sind, mit 18 Jahren vermutlich lieber mit Mädchen in die Botanik gehen als mit der Flinte durch den Wald zu robben und sich zum Kriegskrüppel schießen zu lassen für ein Vaterland, das ihnen nur aus Erzählungen bekannt ist. Heute weiß doch jedes Kind, dass es eben nicht süß ist fürs Vaterland zu sterben. Nach Kriegsende werden dann noch einmal ein paar Mill. kriegstraumatisierte Männer im Zuge der Familienzusammenführung nachkommen, sodass der Ukraine jede Menge Arbeitskräfte für den Wiederaufbau fehlen werden.
Mit einer zukünftigen EU-Mitgliedschaft der Ukraine wird sich dieses Problem noch verschärfen, weil die jungen, gut ausgebildeten Menschen in Scharen das Land in Richtung Westen verlassen werden; die Freizügigkeit gehört ja zu den Grundrechten eines jeden EU-Bürgers. Das, was in z.B. Polen Realität ist, dass Ärzte fehlen, sodass man Glück hat, wenn man einen eiligen Termin schon in 3 Monaten bekommt und sehr viele Ärzte um die 70 Jahre, manche gar zwischen 80 und scheintod sind, wird sich dann bei uns legen, weil ukrainische Ärzte den Fachkräftemangel beheben werden. Nur kann der kranke Ukrainer dann zum Kräuterweiblein gehen oder, wenn es ernsthafter ist, gleich den Tischler rufen, sofern beide nicht auch schon längst westlich der Ukraine ansässig sind.
Auch die Überlegungen der EU, Gasvorräte in der Ukraine einzulagern, zeugen nicht gerade von Weitsicht. Abgesehen davon, dass in der Ukraine Krieg herrscht und die betreffenden Einrichtungen damit nicht sicher sind, sollte uns in der EU ja wohl noch die unrechtmäßige Aneignung von Gas, das für die EU bestimmt war, durch die Ukraine in den Jahren 2006 und 2009 bekannt sein. Angesichts dessen, dass die Ukraine bislang kein Wort des Bedauerns für die durch ihre Rakete ermordeten polnischen Landwirte in Przewodów am 15.11.2022 und auch sonst die helfenden Länder eher beschimpft als sich dankbar zu zeigen, ist ein erneutes Abzweigen von EU-Gasvorräten durch die Ukraine nicht ganz in das Reich der Fabeln zu verweisen.
Machen wir uns nichts vor, die Kriege in Vietnam haben 29 Jahre angedauert, der in Afghanistan 20 Jahre und der Ukrainekrieg wird nicht kürzer sein, sofern nicht vorher der letzte Ukrainer gefallen ist oder Vernunft einkehrt und es zu einer diplomatischen Lösung kommt. Leider hat sich die EU diesbezüglich bislang in keiner Weise mit Ruhm bekleckert. Nimmt man dann noch hinzu, dass die NATO zum Schutz der Zivilbevölkerung mehr als einmal Flugverbotszonen eingerichtet hat, dass nach den Worten von Anders Rasmussen eine Gruppe von NATO-Ländern bereit sein könnte Truppen in der Ukraine zu stationieren, sowie die Überlegungen, die Ukraine nach einem Friedensschluss evtl. nur teilweise in die NATO aufzunehmen (wenn sie denn ihre Demokratiedefizite, das Korruptionsproblem u.a.m. gelöst hat), dann erscheint die Überlegung Dmitri Medwedews vom Mai 2023, die Ukraine aufzuteilen, gar nicht so abwegig. Man hätte dann eine befriedete Zone im Westen der Ukraine, eine kämpfende in der Mitte und eine russisch besetzte im Osten. Befriedigend klingt das absolut nicht, aber ohne eine diplomatische Lösung des Konfliktes könnte es darauf hinauslaufen, zumal die weitere Eskalation des Krieges die Flüchtlingszahlen aus der Ukraine gewaltig ansteigen lassen dürfte, die EU aber kaum im Extrem bis zu 30 Mill. ukrainische Flüchtlinge aufnehmen würde.
Man kann selbstverständlich nicht alles unbesehen unterschreiben, was Ungarn und insbesondere Orbán zum Besten gibt, insgesamt erscheint seine Politik im Ukrainekrieg jedoch sinnvoller und realistischer als die der restlichen EU. Wie will man etwa ernstlich erwarten, dass jemand zu Verhandlungen erscheint, den man inhaftieren will? Wie will man ernstlich erwarten, dass das Morden ein Ende hat, wenn man immer mehr Waffen liefert? Eine Wagenburgpolitik, in der sich die EU gemeinsam mit ein paar wenigen anderen Staaten in Übersee einigelt und versucht den Rest der Welt, insbesondere Russland und China, auszugrenzen, wird nicht funktionieren bzw. der Schuss wird zwangsläufig nach hinten losgehen und den „Rest der Welt“ gegen uns paar Hanseln vereinen. Nicht allein der Dauerkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan belegt die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Russland (und in diesem Falle der Türkei).

Offensichtlich meinen einige Leute, andere Meinungen mit Mammut-Textblöcken erschlagen zu können. Ohne Absätze lässt es sich diese Weltreise durch sämtliche Länder der Erde und unzählige Themen kaum lesen - geschweige denn beantworten.

Das ist keine Meinungsäußerung zu einem Thema, das ist ein Monolog zu 101 Themen.

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