Ein nachweislich behindertes Kind abzutreiben oder mit PID schon
vorher auszuselektieren mag für Moralisten äquivalent zu Mord sein.
Die Minimalargumentation ist dann, gar nicht in den Lauf der Dinge
einzugreifen und die Beschaffenheit des Nachwuchses "dem Schicksal"
zu überlassen.
Wenn das eine Mord ist, so ist der umgekehrte Fall, nämlich die
absichtliche Erzeugung einer Behinderung zumindest vorsätzliche
Körperverletzung.
Aus der Perspektive des Kindes könnte PID bzw. Abtreibung humaner
sein als gezielt krank geboren zu werden. Denn in letzterem Fall muss
man damit leben. Im ersten Fall haben nur die Eltern damit zu tun.
Ethisch gesehen kann man dann auch gezielt auf eine stupide
Arbeiterklasse hinzüchten, die versklavt wird und für andere die
Drecksarbeit macht. Dazu werden Eigenschaften wie Intelligenz,
Ehrgeiz genauso wegkloniert wie der Gehörsinn.
Wenn man einen bioethisch möglichst universellen Standpunkt suchen
will, so wäre mein Vorschlag dahingehend, dass ein jeder neugeborene
Mensch ein Maximum an Möglichkeiten zur Selbstentfaltung haben sollte
und niemand diese künstlich einschränken dürfe. Welchen Lebensweg
derjenige dann einmal geht, ist seine Sache. Ob er Musiker wird oder
sein Gehör nicht sinnvoll nutzt und es gar nicht bräuchte, ist
irrelevant. Aber er soll die Möglichkeit zur freien Wahl haben! Das
ist Würde und Respekt vor der Persönlichkeit eines Menschen, autonom
sein Leben zu bestimmen.
Aus dieser Sichtweise des Gebots auf ein Maximum an
Entfaltungsmöglichkeiten bleibt die ethische Vertretbarkeit von PID
oder Abtreibungen zur Verhinderung von Behinderungen erhalten. Denn
so wird stets derjenige Embryo zur Nutzung der begrenzten
gesellschaftlichen Ressourcen zugelassen, der Kraft maximaler
Souveränität auch den grössten Nutzen daraus ziehen könnte, im Sinne
seiner Selbstverwirklichung.
Alternativ könnte man natürlich alle Varianten irgendwie zulassen und
am Leben halten oder ins Leben bringen, so wie vielleicht alle
Parallelwelten zur Aufhebung der Quantenparadoxa existieren mögen -
nur müssen das nicht alles bessere sein als diese Welt!
Im engeren Sinne könnte man die gezielte Geburt von Behinderten auch
als gesellschaftlichen Terrorismus bezeichnen! Mit den Behinderungen
wird sich die Gesellschaft herumschlagen müssen. Guerillataktik
gegenüber einem zivilisierten Feind ist nicht, möglichst viele zu
töten, sondern zu verletzen, verkrüppeln und zu Pflegefällen zu
machen, so dass die Resourcen mit der Versorgung dieser aufgezehrt
werden und der Gegner um so mehr geschwächt.
Wenn ich eine Gesellschaft hassen würde und ihr schaden wollte, so
wäre der nachaltigere Weg kein spektakulärer Anschlag wie das
WTC-Massaker, sondern die schleichende Unterwanderung und subtile
Akumulation von Belastungsfaktoren, um das Sozialgefüge von innen
heraus zu zersetzen.