Auf der einen Seite finde ich es toll, daß sich jemand für Individuen einsetzt, anstatt alle über einen Kamm zu scheren. Verallgemeinerungen sind einfach und ohne großen Aufwand herzustellen, das Eingehen auf ein Individuum kostet aber in der Regel sehr viel Zeit und auch Mühe.
Deswegen bin ich auf der anderen Seite erschüttert, daß der Professor von seiner "App" so sehr schwärmt. Nicht nur, daß die Nutzung von Wanzentechnik (nichts anderes sind die heutigen, modernen Smartphones) eine fragwürdige Voraussetzung ist, scheint sie doch auch die Individualpflege, wie sie beispielsweise von einem Arzt durchgeführt werden kann, von einer Maschine ersetzt zu werden, um schlußendlich als Datensatz zu enden -- zwar als individueller, aber eben als Datensatz.
Auffällig war auch die Aussage, daß der Herr Professor darum bemüht ist, das "Funktionieren eines Menschen" in den Vordergrund zu stellen. Dahinter lassen sich nur allzu leicht wirtschaftliche Interessen ableiten, denn wenn die Menschen nicht mehr im Sinne des Kapitalismus funktionieren, droht das System ins Stocken zu geraten, Gewinne würden nicht mehr hochproduktiv eingefahren werden können.
Die Frage nach den allgemeinen Bedingungen, warum die Menschen überhaupt erst psychisch erkranken, sind meiner Meinung nach nicht ausschließlich individuell zu suchen. Mit individueller Therapie kann man freilich Einiges erreichen, aber die zugrunde liegenden Ursachen, welche der Herr Professor selbst gerne ans Licht bringen täte, sind eben auch im allgemeinen Umfeld zu suchen. Soziale Ungerechtigkeit, eine Zwangsarbeit durch Hartz IV, niedriger Lohn, stressiges Umfeld -- das sind Faktoren, die man selbst mit außergewöhnlichen Behandlungsmethoden, wenn sie sich auf ein einzelnes Individuum beschränken, nicht ändern kann.