PippiLangstrumpf schrieb am 25.04.2024 10:12:
Dass Janukowitsch "pro-russisch" war, ist eine absolute Legende. Der hat in seinem Wahlkampf den EU-Beitritt versprochen und ist erst an der Macht "pro-russisch" geworden und hat der EU abgesagt. Dass da das Volk, das ihn für etwas anderes gewählt hat, dann aufbegehrt, ist doch völlig logisch, selbst wenn es dem Kreml nicht gefällt, dass Putins Mann in der Rada gestürzt wurde.
Der Grund, warum Janukowitsch zögerte mit der Unterschrift unter dem Assoziierungsabkommen mit der EU (dies führte dann zum Euro-Maidan) war folgender:
Der damalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat deutlich gemacht hat, dass die Ukraine nicht gleichzeitig das Assoziierungsabkommen mit der EU und eine Zollunion mit Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken eingehen kann.
Barroso erklärte 2013 unmissverbar, dass die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU nicht mit einer Mitgliedschaft der Ukraine in der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion vereinbar sei. Die EU machte klar, dass die Ukraine sich zwischen einer Annäherung an den Westen oder an Russland entscheiden müsse. Diese Forderung der EU, zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken wählen zu müssen, war einer der Hauptgründe, warum der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch das bereits ausgehandelte Assoziierungsabkommen mit der EU letztendlich nicht unterzeichnete.
Stattdessen entschied er sich für eine engere Anbindung an Russland, was 2013/2014 die Proteste auf dem Maidan-Platz in Kiew auslöste.
Erst nach dem Machtwechsel 2014 unterzeichnete der neue Präsident Petro Poroschenko das Abkommen mit der EU, was zu erheblichen Spannungen mit Russland führte.
Um zu verstehen warum Janukowitisch gezögert hat bei der Unterzeichnung muss man Wissen, dass die Ukraine wirtschaftlich geteilt ist. Die Wirtschaftsstruktur in der Westukraine und im Osten unterscheiden sich fundamental:
Westliche Ukraine:
- Der Westen der Ukraine ist traditionell stärker landwirtschaftlich ausgerichtet.
- Wichtige Exportgüter aus dieser Region sind Getreide wie Weizen und Mais sowie Sonnenblumenöl.
- Diese landwirtschaftlichen Produkte werden vor allem in die EU und andere westliche Länder exportiert.
Östliche Ukraine:
- Der Osten und Südosten der Ukraine ist stärker industriell geprägt, insbesondere durch die Stahl- und Schwerindustrie.
- Wichtige Industriezentren liegen im Donbass-Gebiet und um Städte wie Charkiw und Dnipro.
- Die Industrieprodukte wie Stahl, Bergbauerzeugnisse und Maschinen wurden traditionell stärker in die ehemalige Sowjetunion und nach Russland exportiert.
Diese wirtschaftliche Teilung spiegelt sich auch in den außenpolitischen Orientierungen wider. Der pro-europäische Westen tendiert stärker zur EU, während der industriell geprägte Osten enger mit Russland und der Eurasischen Wirtschaftsunion verbunden ist.
Die Ukraine hätte aufgrund ihrer geografischen Lage und ihrer wirtschaftlichen sowie kulturellen Verbindungen nach Westen und Osten tatsächlich das Potenzial gehabt, als Drehscheibe und Brücke zwischen Europa und Russland/Eurasien zu fungieren.
Die Ukraine als Handelsdrehscheibe
- Die westlichen Regionen mit ihrer landwirtschaftlichen Prägung und Europa-Orientierung
- Die östlichen Industriegebiete mit engen Wirtschaftsbeziehungen zu Russland
- Ukrainische Unternehmen und Logistikunternehmen hätten den Handel zwischen beiden Wirtschaftsräumen organisieren und abwickeln können
- Die unterschiedlichen kulturellen Prägungen der West- und Ostukrainer mit ihren jeweiligen Sprachen und Mentalitäten wären eine ideale Kombination für diese Brückenfunktion gewesen
Statt diese Chance als Knotenpunkt zwischen den Märkten zu nutzen, hat sich die Ukraine jedoch zunehmend zwischen einer Annäherung an die EU oder Russland entscheiden müssen. Die Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens 2014 führte schließlich zu einer Eskalation mit Russland.
Eine enge Handelspartnerschaft mit beiden Seiten, unter Nutzung der vorhandenen Wirtschaftsstrukturen und kulturellen Verflechtungen, wäre eine vielversprechende Zukunftsperspektive für die Ukraine gewesen.