"{...] Trotzdem läuft es für den Kreml nicht nach Wunsch. Putin wäre es zweifellos lieber gewesen, das Trugbild einer imitierten Demokratie aufrechtzuerhalten, ein politisches System, in dem ein Korruptionsnetz alle Akteure satt macht und in dem es sogar Platz für einen Hofnarren wie Nawalny gäbe. Daher liess man diesen bei seinen Korruptionsermittlungen lange gewähren und 2013 sogar als Moskauer Bürgermeisterkandidaten antreten. Doch Nawalny ist der einzige echte Politiker des Landes – in dem Sinne, dass er nicht bloss eine Rolle in einem abgekarteten Spiel übernehmen will, sondern das tut, was Politiker in Demokratien gemeinhin tun: wachsenden Rückhalt in der Bevölkerung und letztlich die Macht anstreben.
In Russland kommt dies einem furchtbaren Sakrileg gleich. Aus der Sicht des Kremls ist Politik kein Jekami der Bürger, sondern eine Sphäre, die man auf Einladung der Machthaber betritt. Diese Geisteshaltung brachte Putins langjähriger Juniorpartner Dmitri Medwedew kürzlich mit folgenden Worten zum Ausdruck: Nawalny sei ein Abenteurer, der sich in die Staatsmacht einschleichen wolle.[...]
https://www.nzz.ch/meinung/russland-wandelt-sich-zur-offenen-diktatur-trotzdem-laeuft-es-fuer-den-kreml-nicht-nach-wunsch-ld.1601439
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