Ansicht umschalten
Avatar von Mr.Hardware
  • Mr.Hardware

mehr als 1000 Beiträge seit 12.05.2000

Empathielosigkeit und Unverständnis für russischer Innenpolitik

Ich finde das gebetsmühlenartige Wiederholen von "Friedensverhandlungen - jetzt" erschrecken, weil es doch zeigt, dass die vermeintlichen Russlandversteher wie Frau Erler überhaupt nicht verstehen, was das Haupthindernis eines baldigen Friedens ist: Die innenpolitische Lage und Russland und die dortige "Volksseele" wie man so schön sagt.

Putin hat dem russischen Volk eine "militärische Spezialoperation" versprochen. Allein dieser Ausdruck zeigt doch, was in der Ukraine vermieden werden sollte: ein Krieg. Es ist doch ziemlich klar, dass es so laufen sollte, wie 2014 auf der Krim. Schnell rein, Referendum und weiter im Text. Jetzt sind über 300.000 Russen tot oder verwundet. Die Wirtschaft lieft am Boden. Russland ist außenpolitisch isoliert. Und militärisch steht man - abgesehen von der Gegen um Melitopol - praktisch dort, wo man sich schon vor drei Jahre stand. Nur halt ohne 3.000 Kampf- und 10.000 Schützenpanzer, die Schwarzmeerflotte versenkt und ein erheblicher Teil der Luftwaffe vernichtet.

Der Krieg jetzt zu beenden, hieße einen Schlussstrich zu ziehen und über den Kosten und nutzen dieser Aktion abzurechnen. Die Bilanz ist so vernichtend, dass die russische Führung dies wahrscheinlich nicht überleben würde.

Ein weiteres Problem ist das Kriegsziel: Die Beseitigung der faschistischen Regierung in Kiew? Die Integration des ukrainischen Brudervolks in das russische Reich? Die Beseitigung der Bedrohung durch die NATO? Russland hatte viele Vorwände für den Krieg aber keine echten Gründe. Insofern haben sie auch keine echte Verhandlungsmaße, also Forderungen auf die sie während der Verhandlungen verzichten könnten. Klar ist jedenfalls, dass keines der Zeile am Verhandlungstisch erreichbar wäre.

Zum Vergleich:
- Die Ukraine fordert die Rückgabe der seit 2014 besetzen Gebiete
- Die Ukraine will eine freie Wahl ihrer Bündnispartner inkl. NATO- und EU-Mitgliedschaft.

Was will Russland? Das weiß nicht einmal Russland selbst. Also wird weitergekämpft...

Dazu kommen ein weiter Punkt, der die Friedensverhandlungen erschweren: Die westlichen Sanktionen wirken.. Brutal. Und diese würden während eines Waffenstillstands mit Sicherheit aufrecht erhalten. Diese Konstellation bedeutet, dass die Zeit während eines Waffenstillstands gegen Russland arbeitet. Der Westen kann hingegen abwarten: Seine Hauptwaffe richtet weiter schwere Schäden bim Gegner an, während man selber keine Verluste mehr hätte. Russlands Befürchtung, dass die Ukraine und insbesondere der Westen anstatt ehrlich zu Verhandeln auf Zeit spielen werden, scheint mir nicht unbegründet.

Wer also von Friedensverhandlungen schwadroniert, der soll doch auch laut sagen, über was überhaupt verhandelt werden soll. Und dann wird er oder sie schnell merken, dass das derzeit Tagträumerin sind, die an der Realität der inter-russischen Lage zerplatzen.

MfG

Mr Hardware

P.S.: Wer sich ernsthaft für dieses Problem der innenpolitischen Spannung vor möglichen Friedensverhandlungen interessiert, dem sei Holger Affllerbachs großartiges Buch "Auf Messers Schneide" empfohlen.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (16.10.2024 16:23).

Bewerten
- +
Ansicht umschalten