Jane_Spenccer schrieb am 03.11.2021 15:35:
Der Rote Punkt
Zum 1. Juni 1969 kündigen die Hannoverschen Verkehrsbetriebe (Üstra) eine Erhöhung der Fahrpreise für Straßenbahnen und Busse um bis zu 33 Prozent an. Dagegen regt sich Protest unter dem Namen "Aktion Roter Punkt".
Es war ursprünglich die Idee zweier Studenten der Technischen Universität in Hannover. Mit einem Flugblatt setzten sie die "Aktion Roter Punkt" im Juni 1969 in Gang. Außer der Kritik an den Fahrpreiserhöhungen der Üstra enthielt das Flugblatt auch konstruktive Vorschläge. "Autofahrer!", hieß es darin, "helfen Sie den Bürgern, die kein Auto besitzen. Kleben Sie sich den "Roten Punkt" an die vordere Windschutzscheibe!" Mit diesem Punkt sollten die Autofahrer signalisieren, dass sie Passanten kostenlos mitnehmen.
Straßenbahnen und Busse wurden seit dem 7. Juni durch Sitzblockaden und Demonstrationen behindert. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein und nahm im Verlauf einer Demonstration am 10. Juni 120 Personen fest. Den Protest konnte dies jedoch nicht eindämmen.
Nach ein paar Tagen stellte die Üstra den Verkehr ein. Vom 12. bis 19. Juni fuhren weder Busse noch Straßenbahnen. Gleichzeitig solidarisierten sich immer mehr Autofahrer mit der Bürgerinitiative und steckten sich den handtellergroßen roten Punkt auf weißem Quadrat hinter die Scheibenwischer.
Mit dem Schlachtruf "Üstra, Üstra, ungeheuer, erstens Scheiße, zweitens teuer" brachte die Bevölkerung ihren Unmut über das private Unternehmen zum Ausdruck. In der Hochphase des Protestes fuhr jedes zweite Auto mit dem roten Punkt, die Fahrer nahmen wildfremde Menschen mit und wurden Teil des öffentlichen Nahverkehrs.
Die Bewegung erreichte eine breite Bevölkerung und bekam den Charakter eines Volksfestes. Gewerkschaften, Großbetriebe und Teile der Presse unterstützten die Proteste. Nach knapp einer Woche solidarisierte sich auch die Stadtverwaltung Hannover. Sie ließ 50.000 rote Punkte drucken und verteilen. Der Protest dauerte elf Tage. Die Üstra nahm ihre Preiserhöhung zurück und ersetzte sie durch einen Einheitsfahrpreis von 50 Pfennig pro Strecke. Ein Jahr später wurde das bis dahin private Unternehmen in einen kommunalen Dienstleister umgewandelt.
https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Juni-1969-Aktion-Roter-Punkt-Boykott-gegen-Fahrpreiserhoehungen,aktionroterpunkthannover2.htmlJa, das waren diese Boomer.
Tolle Zeit.
Heute fürchte ich sähe die Sache eher anders aus: FFF blockieren Autobahnen, fordern höhere Abgaben von den Autofahrern, um damit den ÖV quer zu subventionieren. Statt solidarisiert wird polarisiert.
Die Ursachen werden nicht direkt angegangen (Energiepreise bzw. damals Profitgier von Privatwirtschaft), sondern Sündenböcke gesucht. Statt dem Wohl für alle trachtet man danach, wen man möglichst viel ausbeuten kann, um die faule kleine Klientel zu unterstützen. Nicht mehr meine Gesellschaft und meine Solidarität...
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (03.11.2021 16:29).