...und trotzdem auseinanderzuhalten, überfordert tatsächlich viele Menschen, wie im Forum bestens zu sehen ist.
Ich hätte mir auch deswegen gewünscht, dass der Text noch konsequenter ist und nicht nur etwas ankündigt, das er selbst nicht verwirklicht.
Um Jaques Derrida - etwas ironisch gesagt: der "Meister" der Dekonstruktion - zu zitieren:
"Die Beispielhaftigkeit des Beispiels ist nicht die Beispielhaftigkeit des Beispiels."
Was Ronald Engert als Beispiel für die Wahrheit anführt, gilt mit der Methode der Dekonstruktion als Beispiel für die Kontextabhängigkeit der Geltung naturwissenschaftlicher Aussagen:
Es widersprechen sich die euklidische Geometrie und die allgemeine Relativitätstheorie; ein Dreieck hat eben nicht immer die Innenwinkelsumme von 180° und wann es ausreicht, dies anzunehmen, ist eine praktische Frage. Eine Brücke lässt sich mit dieser "Wahrheit" noch bauen, ein GPS-System aber nicht mehr.
Die allgemeine Relativitätstheorie, die beim Bau eines GPS-Systems angewendet wird, sagt ihrerseits nichts über die Physik der kleinsten Teilchen aus - insofern ist sie auch nicht <i>die<\i> Wahrheit.
Wahr ist hingegen die obige Aussage. Wenn es die Wahrheit gibt, ist die Dekonstruktion die Wahrheit.
Wenn wir eine Wahrheit konkret aussprechen wollen, dann lautet sie etwa so:
"In der euklidischen Geometrie (wo zwei Parallelen überall denselben Abstand haben), haben Dreiecke eine Innenwinkelsumme von 180°."
Somit ist die Wahrheit niemals absolut, also losgelöst von den Tatsachen, sondern zwingend historisch. Sie setzt eine Gesellschaft voraus, die ein Konzept von Wahrheit als Übereinstimmung mit der Wirklichkeit hat.
Ansonsten wäre es unsinnig, überhaupt die Wahrheit sagen zu wollen. Deswegen ist die Aussage völlig richtig, dass ein Populismus, der sich der Lüge konsequent bedient, der Gesellschaft den Boden entzieht.
Ich habe allerdings die Befürchtung, dass Ronald Engert Ursache und Effekt verkehrt, wenn er schreibt, dass Populisten erst an des Lügen gewöhnt sein müssten, um die Unwahrheit zu glauben.
Wir sind schließlich noch in der Vorgeschichte (eine Geschichte des Menschen steht noch aus, ist er doch durch Nationen, Religionen und Geschlechter zerteilt). Populisten sind m.E. einfach an die (kapitalistische) "Normalität" gewöhnt, der eine Unwahrheit zugrundeliegt / zugrunde gelegt wird.
Wenn sie zu der Meinung gelangen, der Mythos sei wichtiger als der Logos, liegt dem nicht weniger als die Erfahrung der Faktizität der Macht und der Herrschaft zugrunde / wird zugrunde gelegt.