„Staatsvolk“ ist ein sicher ein (sagen wir einmal) „schwieriger“ Begriff. Damit wird in der Regel eine irgendwie geartete ethnische / „nationale“ Identität impliziert.
Ein solches Konstrukt erscheint mir kaum haltbar. Gerade Zentraleuropa ist historisch geprägt von dem Einfluss (inkl. Migrationsbewegungen) vieler verschiedener ethnischer Entitäten, die wiederum ihrerseits neue Identitäten erzeugt haben. Menschen sind miteinander in Beziehungen getreten – und tun dies weiter. Nur so können Menschen auf diesem Planeten fortexistierten und sich weiterentwickeln.
Aber liegt ein solches eng verstandenes, ethnisches Verständnis der Aussage Putins zugrunde? Er redet immerhin von Russland als einem multiethnischen Land.
Vielleicht sollen wir dies als „Deutsche“ verstehen (lernen). Abgesehen von unseren „stammesmäßigen“ (natürlich auch inkl. slawischer) Wurzeln ist dieser heutige Staat aus sehr unterschiedlichen Quellen erwachsen.
Aber genau diese Quellen (und damit verbundenen Gebieten) haben nicht zwingend etwas mit der heutigen staatlichen Verfasstheit zu tun. Die ist vielmehr Ergebnis politischer (und militärischer) Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte (und Jahrhunderte) – und sie ist nach wie vor möglichen Veränderungen unterworfen.
Grenzen legen für gewöhnlich die Sieger nach einem vorangegangenen Konflikt fest. Wurden die Menschen in dem jeweiligen Gebiet gefragt? Im Saarland und auf der Krim wurden sie gefragt (wobei man über die Konditionen durchaus streiten kann – aber das [zu erwartende] Ergebnis wird von niemandem ernsthaft bezweifelt).
Als gebürtiger Nassauer, dessen Heimatregion zwischen Hessen und Trier umstritten war, der zeitweise unter französischer Herrschaft stand, und letztlich im preußischen Staat endete, habe ich wenig Sympathie für solche „Gebietszuweisungen“. Angesichts der (weitgehend) willkürlichen Grenzen (u. a. allein zwischen Bundesländern [in meinem Fall: Hessen und Rheinland-Pfalz]) erscheint mir die Diskussion ziemliche „aufgesetzt“.
„Nationale“ Argumente (ethisch oder staatlich-historisch motiviert) spielen sicher eine Rolle – und müssen daher sicher berücksichtigt werden. Das gilt sowohl für das (über Jahrhunderte) gewachsene Verständnis eines multiethnischen Russlands als auch für die sich neu national definierende Ukraine (wobei der Nationalismus gerade in neuen Nationalstaaten gerne zu Übertreibungen neigt – gelinde gesagt).
Persönlich halte ich das Konzept der „Staatsvölker“ für überholt und nicht zweckdienlich. Das spricht aber nicht gegen die Bedeutung er Nationalstaaten – verstanden als Gesellschaften mit mehr oder weniger übereinstimmenden sozialen und wirtschaftlichen Interessen (in Abgrenzung zu anderen / konkurrierenden Gesellschaften). Gerade im Rahmen einer staatlichen Verfasstheit haben die Bürger eines solchen Staates die Möglichkeit, Ihre Interessen zu vertreten. Eine europäische Zentralregierung scheint dagegen außerstande, die teils divergierenden Interessen ihrer Bürger auch nur ansatzweise zu berücksichtigen.
Die Ausführungen Putins zur historischen Staatlichkeit der Ukraine halte ich daher eher für eine (mölicherweise nicht adäquate) Reflexion des oben angesprochenen Problems