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  • Stephan Geue

mehr als 1000 Beiträge seit 07.08.2011

Will eine Belegschaft mit ihrem selbstverwalteten Betrieb nicht untergehen, ...

muss sie den Standpunkt des Betriebskapitals einnehmen, das sich nur durch Erfolg in der Konkurrenz mit anderen Kapitalen um die bessere Verwertung erhalten kann.

Was für eine seltsame Sichtweise!

Betrachten wir zunächst den vorigen Zustand, von dem es zwei Varianten gibt: 1. Der Eigentümer-Unternehmer, also Eigentümer und Manager in 1 Person. Es gibt davon prominente Beispiele in Deutschland. Mir fallen allerdings nur ziemlich alte Herren ein, Herrenknecht und Würth zum Beispiel. Obwohl sie schon längst im Rentenalter sind, fahren sie doch noch nahezu täglich persönlich vor. Es gibt davon allerdings unzählige Exemplare, nur viele, die längst nicht in derselben Liga spielen. Im Grunde ist jeder selbstständige Handwerker Eigentümer-Unternehmer, auch wenn er sich selbst nicht so sieht. 2. Der typische Kapitalist, der schon lange nicht mehr mit Frack, Zylinder und Zigarre auftritt, sondern im T-Shirt am Computer sein Portfolio verwaltet oder sogar das schon delegiert hat.

Während Nummer 1 eine persönliche Beziehung zum eigenen Laden hat, kauft und verkauft Nummer 2 ohne besondere Leidenschaft, höchstens von Gier beseelt, je nach Perspektiven den einen oder anderen Laden. Die Leute, die darin arbeiten, sind ihm unbekannt und meistens auch lediglich Mittel zum Zweck, Humankapital, wie man so schön sagt.

Deshalb ist man geneigt, Nummer 2 moral zu verurteilen, zumindest abzuwerten, obwohl dann, wenn aus irgendwelchen Gründen Arbeitsplätze abgebaut werden müssen, meist Nummer 1 die Prügel kriegt, denn Nummer 2 kennt ja niemand.

Nach dem Artikel muss also im Falle einer Enteignung beider Nummern die Belegschaft "den Standpunkt des Betriebskapitals einnehmen". Dazu ist zunächst anzumerken, dass das Betriebskapitel weder unter Nummer 1 noch unter Nummer 2 einen Standpunkt hat, auch nicht im "VEB 2.0". Den Standpunkt haben die Eigentümer, und hier treten nach meiner Einschätzung Unterschiede zutage. Nummer 1 will den Laden am Laufen halten, prosperierend natürlich, aber wenn er mit niedriger oder gar Null-Rendite eine Durststrecke zu durchlaufen hat, in der andere aufgeben, dann wird er nicht die Tore zumachen, denn das Geschäft ist sein Baby, das Produkt durchgemachter Nächte und unzähliger Überstunden. Nummer 2 wird gemäß der Devise von Jack Welsh sagen: Fix it, sell it or close it. "Sell it" verlagert Option 1 und 3 lediglich an einen Käufer. Warum aber sollte dies bei einer Null-Rendite geschehen? Das ist doch die berühmte "schwarze Null". Da muss man doch nicht aufgeben (denn der Verkauf wird nur mit Abschlägen gelingen, denn der Käufer weiß natürlich vom nicht so rosigen Zustand). Doch, man muss, und zwar aus einem einfachen Grund:

Der Laden muss zusätzlich zu seinen Betriebskosten, zu denen alle Gehälter zählen, auch noch Kapitalkosten aufbringen, und wenn er keine Schulden hat, muss er kalkulatorische Zinsen aufbringen. Wenn es ein Unternehmen im Eigentum eines Nicht-Unternehmers ist, eines Anlegers, so erwartet dieser Erträge - dafür, dass er es gekauft hat oder Teile davon, z.B. in Form von Aktien. Wenn also eine (jährliche) Rendite von 10 Prozent erwartet wird, um für Anleger interessant zu sein, dann muss der Laden pro Jahr 10 Prozent mehr erwirtschaften, als wäre er im Eigentum der Angestellten. Er muss also keineswegs eine "bessere Verwertung erhalten". Er muss lediglich eine kostendeckende Verwertung erhalten. Es versteht sich von selbst, dass kostendeckend ausreichend für die Wiederbeschaffung abgeschriebener Ausrüstung, die Weiterbildung der Belegschaft, die Weiterentwicklung der Produkte und all das sein muss, das ein Unternehmen dauerhaft auf dem Stand der Technik und der Produktivität hält.

Aber Aldi muss eben nicht den Kapitalertrag an die Börse abliefern, der Karstadt letztlich in die Pleite getrieben hat. So gesehen gilt der Maßstab für den "VEB 2.0" auch für Nummer 1. Aber erfahrungsgemäß macht Nummer 1 die ganze Sache mit all dem überdurchschnittlichen Engagement nur so lange Spaß, wie sie eine befriedigende Dynamik hat, wenn das Unternehmen wächst, wenn immer wieder ein Teil des Ertrags nicht zum Erhalt, sondern zum Wachstum des Unternehmens einbehalten wird. Wenn also dieser Spaß - oder wie auch immer man das nennen mag - bei der Eigentümerbelegschaft ebenfalls nur vorhanden ist, solange das Unternehmen auf lange Sicht immer größer wird, dann unterscheiden sich die Situation des Unternehmereigentümers vom Eigentümerbelegschaftsmitglied nur insofern, als dieses von lauter mitbestimmenden und mitbesitzenden Kollegen mit der daraus resultierenden Motivation umgeben ist, während der Unternehmereigentümer irgendwie zusehen muss, wie er über das Gehalt und sonstige Wege seine nicht stimm- und anteilsberechtigte Belegschaft bei der Stange hält.

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