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  • Pnyx (1)

mehr als 1000 Beiträge seit 01.07.2017

wider die Hypertrophie der Ethik

Eine durchaus bedenkenswerte Arbeit, obwohl an manchen Stellen Missverständnissen Tür und Tor geöffnet wird.

Die Milliardenvermögen der Flicks, Mohns und Gettys (stecken) zum allergrößten Teil in ihren Unternehmen […]. Privat leben viele von ihnen vergleichsweise bescheiden... [Schandel]

Das ist z. B. ziemlicher Unsinn. Inzwischen sollte allgemein bekannt sein, dass Reiche / Superreiche unverhältnismässig viel mehr CO2 emitieren als der Rest. Und das schafft man nicht, wenn man 'vergleichsweise bescheiden' lebt.

Streckenweise geht das eigentliche Anliegen, der Aufweis, dass rein ethische fundierte Kritik nicht genügend Tragkraft entwickelt, im Gestrüpp der Zitate verloren. Die entscheidende Feststellung stammt vom schon zitierten, und kritisierten, Schandel:

Gerechtigkeit ist seltsam indifferent, was Inhalte betrifft,...

Diese Inhaltblindheit ist es, die z. B. eine identitär gewendete Linke ihre angestammte Klientel hat verlieren lassen. Die Konzentration auf gleiche Rechte für Minderheiten, mittlerweile für jede Diversitätsschattierung, lässt sie an der Lebenswirklichkeit der Masse vorbeisehen. Was gesellschaftlich nicht mehr stimmt, wird individuell verständlicherweise ethisch gefasst - dies und jenes ist ungerecht -, ist aber auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ein Indiz für zunehmende Dysfunktionalität und sollte daher auch funktionalistisch erfasst, die herrschenden Zustände funktionalistisch kritisiert werden.

Konkret etwa - eine zunehmende ökonomische Polarisierung schafft immer grössere gesellschaftliche Reibungsflächen und ist daher funktional schädlich. Der im kapitalistischen Wirtschaftsbetrieb angelegte Autoritarismus, Despotismus springt in fortgeschrittenen Momenten eines solchen Prozesses auf die politische Sphäre über, es kommt zur Aushöhlung der bürgerlich-demokratischen Institutionen, möglicherweise zu ihrem Zusammenbruch. Die Polarisierungstendenz ist umso stärker, je reiner der kapitalistischen Ideologie gehuldigt wird. Besonders rein kommt dann die Form von 'Rationalität' zum Zug, die Creydt im folgenden Zitat anführt:

Der hier interessiert bemühte Idealismus des freien Willens übergeht aber die kapitalistische Rationalität, in der Gewinnaussichten entscheiden. Die Unternehmensleitung ist dieser Rationalität unterworfen und hat nur in ihrem Rahmen Macht.

Grundsätzlich trifft das zu, wobei der Autor hier einen gewissen Spielraum unterschlägt, den jede Geschäftsleitung stets noch hat. Dennoch, man kann zugespitzt sagen, dass der Kapitalismus die Herrschenden beherrscht, sie bis zu einem gewissen Grad dem Sozialen und heute noch grundlegender, dem Ökologischen gegenüber ohnmächtig macht.

Da wäre weiter zu überlegen, wie man aus diesem Zirkel herausfindet, bevor der Kapitalismus die Lebensgrundlagen buchstäblich aufgefressen hat.

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