Antwort eines Antifaschisten

Zunächst: Guter und ehrlicher Artikel. Sehr treffende Überschrift.

Interessante Forenantworten.

Wenn man über Antifaschismus sprechen will, sollte man sich zunächst einmal über die eigene Faschismusdefinition klar werden.

Gerade ja auch die durch Corona ausgelöste soziale Katastrophe offenbart ja in vielerlei Hinsicht eklatantes Mißverständnis für die Aufgaben- und Gewaltenteilung unserer demokratischen Grundordnung.

Es wird immer hitziger und polemischer mit Pauschalurteilen von allen Seiten gearbeitet. Jeder kann in seinem persönlichen Umfeld nachvollziehen, wie tief die Gräben sind, die Corona und Maßnahmen durch alle urmenschlichen Strukturen der Zivilgesellschaft ziehen.

Der kluge linke Salonbolschewist, der ja zurecht auch bereits von einigen Forenten kritisch beäugt wurde, lehnt sich indes zurück und macht zunächst mal einen Schopenhauer.

Als ob Bakunin der Arbeiterklasse entwachsen sei.

Nein, Genosse Kamerad, von den Bauernaufständen bis zum Mauerfall gab es immer Wortführer, die theoretisch Grundlagen anboten, um das Proletariat gegen die Reaktion zu bewaffnen.

Doch, oh weh, was schrieb ich da wohl soeben?

Wie kann eine DDR für einen Linken, der sich auch noch zu sozialistischen Grundprinzipien der ökonomischen Gleichheit bekennt, denn reaktionär gewesen sein?

Und hier wirds jetzt für den Antifaschisten moderner Prägung interessant. Denn wenn man nachschlägt, dann findet man heraus, dass die DDR politideologisch zentralistisch orientiert war.

https://de.wikipedia.org/wiki/Politisches_System_der_DDR

Sie vereinigte die Eigenschaften des realen Sozialismus mit den Prinzipien des so genannten Demokratischen Zentralismus.

Ganz im Gegensatz zur BRD, die als föderale Republik mit damals noch funktionierender sozialer Marktwirtschaft und ebenfalls schon falscher, heiler Welt auf Kosten anderer brummte. Unter anderem auch auf Kosten der sozialistischen Brüder und Schwestern im Osten, deren Unfreiheit man geruhte zu bemitleiden.

Wir sollten diese Geschichten mittlerweile kennen.

Mit dem Fall der berühmten Mauer, die nie jemand bauen wollte, schien die kapitalistische Marktwirtschaft die sozialistische Demokratie besiegt zu haben- soweit die Legende.

Doch anerkannt ist in unserer Gesellschaft heute folgende Version.

Das politische System der DDR war eine Diktatur ohne eine existierende Gewaltenteilung.[1] Sie vereinigte die Eigenschaften des realen Sozialismus mit den Prinzipien des so genannten Demokratischen Zentralismus. Die politische Macht war nicht auf verschiedene Träger verteilt. Unter Widerspruch zu Artikel 5 Satz 3 der Verfassung der DDR ging sie stattdessen für die gesamte Zeit ihrer Existenz von dem umfassend und unkontrolliert herrschenden Führungs- und Herrschaftszentrum der DDR aus, dem Politbüro des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), das ebendieser marxistisch-leninistischen Partei vorstand, welche ihrerseits (durch Artikel 1 der Verfassung der DDR) einen Alleinführungsanspruch für alle Bereiche der DDR erhob.[1]

Im Nachsatz wird noch darauf verwiesen, dass die DDR im Selbstverständnis (der Partei) eine sozialistische Volksrepublik verwirklichte. Nochmal deutlich: Im Selbst(!)verständnis.

Die drei wesentlichen Unterscheidungen ließen sich also folgendermaßen definieren:

- föderalistisch vs. zentralistisch (Staat)

- kapitalistisch vs. planwirtschaftlich (Wirtschaft)

- liberal vs. autoritär

Aus diesem dualistischen Weltbild speist sich noch heute, bewusst oder unbewusst, das politische Denken der Mehrheit.

Corona ist daher eine hochverwirrende Situation.

Die Lösung liegt in der Erkenntnis, dass Repressionen stets den zentralistischen Bestrebungen zu zuordnen sind, ganz gleich unter welchen Vorzeichen sie stehen.

Es sind immer schon diese zentralistischen Begehrlichkeiten gewesen, die zunächst immer mit wohl begründeten, besten Absichten erwogen wurden, die letztlich zu größerem Leid führten, als sie zu verhindern suchten.

Daher gibt es keine ernstzunehmenden Antifaschisten, die für zunehmend zentralstaatliche Repression kämpfen. Sowas tun nur Angstverwirrte mit einem Mangel an politischer Grundbildung bzw. oben beschriebener, traditioneller Verklammerung von Staat und Wirtschaft im Hirn.

Und sowohl Wirtschaft (schon seit längerem) und nun in Coronazeiten auch eindeutig der Staat zeigen einen fatalen Hang zu zentralistischer "Effizienz", ein technokratisches Menschenbild vom Humankapital, welches der freiheitlich demokratischen Gesellschaft humanistischer Prägung diametral entgegen steht.

Man dilettiert einfach weiter in den zunehmend virtuelleren Raum hinein, Filter verhindern unangenehmes feedback.

Und jetzt, da ich schon dabei bin, noch eins:

Sozialstrukturell handele es sich um eine relativ alte und relativ akademische Bewegung. Das Durchschnittsalter betrage 47 Jahre, 31 Prozent hätten Abitur, 34 Prozent einen Studienabschluss, der Anteil Selbstständiger sei deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Typisch für die Bewegung seien auch antisemitische Vorurteile, sie seien Bestandteil einiger Verschwörungstheorien. Autoritäres Denken, Fremdenfeindlichkeit oder die Verharmlosung des Nationalsozialismus sei unter den Anhängern der Bewegung allerdings weniger verbreitet, so Nachtwey." (Welt,05.12.2020).

Altakademisch. Ohne jemanden beleidigen zu wollen, aber das triffts ganz gut.

Das ist auch kein klar rechtes oder linkes Problem.

Sondern das ist tatsächlich ein Generationenproblem und hängt mit unterschiedlichen Lebensrealitäten und Ängsten zusammen.

Es gibt bei den Älteren aus gutem Grund eine Abwehrhaltung gegen Digitalisierung, aber kein realistisches Verständnis dafür, wo wir bereits jetzt stehen und schätzen Gestaltungsspielräume nototrisch schlecht ein, diesbzüglich.

Trotzdem ist man sehr kompetent, weil man mal den Artikel eines Experten gelesen hat.

Leider resultiert aus diesem Unverständnis dann allzu oft Über- oder Fehlregulation, hilflos aktionistische Symptombekämpfung, kuriose Verbote, mehr Überwachung.

Weil die Wurzel allen Übels ein goldenes Kalb ist, das unter keinen Umständen angetastet werden darf, weil es sich wie Pinocchio für einen echten Jungen hält.

Gruß

Calyx