Es war eine Steilvorlage für die US-amerikanischen Gegner der
venezolanischen Regierung. Eine Woche nachdem das Regionalbüro des
Simon-Wiesenthal-Zentrums in der argentinischen Hauptstadt Buenos
Aires Präsident Hugo Chávez antisemitische Äußerungen vorgeworfen
hat, spitzten gleich zwei einflußreiche Publikationen in den USA die
Angriffe zu. Sowohl das Wall Street Journal als auch das Magazin
Weekly Standard, zwei zentrale Organe der im Weißen Haus dominanten
neokonservativen Bewegung, nutzten die Erklärung, um Chávez auf eine
Stufe mit dem iranischen Staatschef Mahmud Ahmadinedschad zu stellen.
Von Caracas nach Teheran
Das Vorgehen ist nicht neu. Schon im vergangenen August hatte der
Weekly Standard »Angriffe gegen Juden« als ein »Kennzeichen der
venezolanischen Regierung unter Chávez« bezeichnet. Wall Street
Journal-Autorin Mary Anastasia O’Grady ging vor wenigen Tagen einen
Schritt weiter: »Diese beiden Tyrannen«, schrieb sie über Chávez und
Ahmadinedschad, »sind weit mehr als nur Brieffreunde«. Venezuela
unter Hugo Chávez unterstütze nicht nur die nuklearen Ambitionen
Irans. Seine Regierung habe sich auch den »haßerfüllten
Antisemitismus der Mullahs zu eigen gemacht«. Im Vorfeld eines
möglichen Militärschlags gegen Teheran ist das eine gewollt
gefährliche Argumentation.
Was war geschehen? In einer öffentlichen Erklärung hatte das
Simon-Wiesenthal-Zentrum Hugo Chávez am 4. Januar beschuldigt, in
einer Rede am 24. Dezember antisemitische Vorurteile verbreitet zu
haben. Während des Besuchs eines sozialpädagogischen Zentrums im
Bundesstaat Miranda hatte der Staatschef am 24. Dezember erklärt:
»Die Welt hat genug für alle, aber einige Minderheiten, die
Nachkommen derselben, die Christus kreuzigten, die Nachkommen derer,
die Bolívar von hier vertrieben und ihn auf ihre Weise in Santa Marta
in Kolumbien kreuzigten, diese Minderheit eignete sich die Reichtümer
der Welt an.« Das Wiesenthal-Zentrum zitierte nur den ersten Teil des
Satzes, um Chávez »mittelalterliche und reaktionäre Sprache«,
»antisemitische Stellungnahmen« und »rassistische Konzepte«
vorzuwerfen. Die Verknappung war wohl gewollt. Im Kontext der Rede,
die nicht ein einziges Mal auf Juden Bezug nimmt, wird nämlich
deutlich, daß mit der »Minderheit«, die Chávez ansprach, eine reiche
Oberschicht gemeint ist, die er weltweit mit »zehn Prozent der
Bevölkerung« bezifferte. Bei weltweit 14 Millionen Juden und einer
Weltbevölkerung von 6,5 Milliarden Menschen läßt sich der Vorwurf, er
habe die Juden gemeint, also schon durch eine einfache Rechnung
widerlegen.
Diese Haltung hat zumindest die jüdischen Gemeinde in Venezuela
eingenommen. In einem Brief an Sergio Widder, den Leiter des
Wiesenthal-Zentrums in Buenos Aires, protestierte Freddy Pressner,
der Präsident des Bundes der Israelitischen Vereine Venezuelas
(CAIV), gegen den Vorstoß. Rückendeckung bekam der jüdische
Dachverband Venezuelas mit dem Amerikanisch-Jüdischen Kongreß und dem
Amerikanisch-Jüdischen Komitee von zwei führenden Organisationen in
den USA. »Unserer Meinung nach hat Chávez nicht bewußt über Juden
gesprochen«, sagte David Twesky vom Amerikanisch-Jüdischen Komitee
gegenüber dem in New York erscheinenden Traditionsblatt Forward.
Protest gegen Angriffe
Im Gespräch mit junge Welt erhob der CAIV-Präsident Pressner nun
erneut schwere Vorwürfe gegen das Wiesenthal-Zentrum. »Wir fühlen uns
als Gemeinde politisch mißbraucht, wir fühlen uns übergangen und vor
allem fürchten wir den Schaden für unsere Arbeit«, beklagte Pressner
in einem Telefonat am vergangenen Dienstag. Zum dritten Mal binnen 15
Monaten habe das Wiesenthal-Zentrum die venezolanische Regierung
angegriffen, »ohne vorher mit uns Rücksprache zu halten«. Die
Erklärung sei von Buenos Aires aus in Unkenntnis der Lage und der
Meinungen vor Ort verfaßt worden. »Wir haben große Achtung vor Simon
Wiesenthal und seinem Werk«, sagte Pressner, »aber wir haben auch das
Gefühl, daß das Zentrum nach dem Tod seines Gründers im vergangenen
September massiv an Seriosität verliert«. Niemand habe schließlich
besondere Kompetenzen, nur weil er in einer Institution mit einem
prominenten Namen arbeitet, sagte Pressner in Hinblick auf die
Verfasser der Erklärung, und: »Ich glaube, daß sich die
Verantwortlichen von Motivationen leiten lassen, die der
ursprünglichen Intention des Wiesenthal-Zentrums zuwiderlaufen«. Zu
den Vorwürfen selbst wollte der CAIV-Präsident keine Stellung mehr
beziehen. Hugo Chávez habe diese bei seiner Jahresansprache vor dem
Parlament am vergangenen Freitag schon ausgeräumt. »Dem kann ich
nichts mehr hinzufügen«, sagte Pressner, der nach wie vor auf eine
Antwort auf seinen Brief aus Buenos Aires wartet.
artikel_ende
Quelle:
http://www.jungewelt.de/2006/01-20/004.php
venezolanischen Regierung. Eine Woche nachdem das Regionalbüro des
Simon-Wiesenthal-Zentrums in der argentinischen Hauptstadt Buenos
Aires Präsident Hugo Chávez antisemitische Äußerungen vorgeworfen
hat, spitzten gleich zwei einflußreiche Publikationen in den USA die
Angriffe zu. Sowohl das Wall Street Journal als auch das Magazin
Weekly Standard, zwei zentrale Organe der im Weißen Haus dominanten
neokonservativen Bewegung, nutzten die Erklärung, um Chávez auf eine
Stufe mit dem iranischen Staatschef Mahmud Ahmadinedschad zu stellen.
Von Caracas nach Teheran
Das Vorgehen ist nicht neu. Schon im vergangenen August hatte der
Weekly Standard »Angriffe gegen Juden« als ein »Kennzeichen der
venezolanischen Regierung unter Chávez« bezeichnet. Wall Street
Journal-Autorin Mary Anastasia O’Grady ging vor wenigen Tagen einen
Schritt weiter: »Diese beiden Tyrannen«, schrieb sie über Chávez und
Ahmadinedschad, »sind weit mehr als nur Brieffreunde«. Venezuela
unter Hugo Chávez unterstütze nicht nur die nuklearen Ambitionen
Irans. Seine Regierung habe sich auch den »haßerfüllten
Antisemitismus der Mullahs zu eigen gemacht«. Im Vorfeld eines
möglichen Militärschlags gegen Teheran ist das eine gewollt
gefährliche Argumentation.
Was war geschehen? In einer öffentlichen Erklärung hatte das
Simon-Wiesenthal-Zentrum Hugo Chávez am 4. Januar beschuldigt, in
einer Rede am 24. Dezember antisemitische Vorurteile verbreitet zu
haben. Während des Besuchs eines sozialpädagogischen Zentrums im
Bundesstaat Miranda hatte der Staatschef am 24. Dezember erklärt:
»Die Welt hat genug für alle, aber einige Minderheiten, die
Nachkommen derselben, die Christus kreuzigten, die Nachkommen derer,
die Bolívar von hier vertrieben und ihn auf ihre Weise in Santa Marta
in Kolumbien kreuzigten, diese Minderheit eignete sich die Reichtümer
der Welt an.« Das Wiesenthal-Zentrum zitierte nur den ersten Teil des
Satzes, um Chávez »mittelalterliche und reaktionäre Sprache«,
»antisemitische Stellungnahmen« und »rassistische Konzepte«
vorzuwerfen. Die Verknappung war wohl gewollt. Im Kontext der Rede,
die nicht ein einziges Mal auf Juden Bezug nimmt, wird nämlich
deutlich, daß mit der »Minderheit«, die Chávez ansprach, eine reiche
Oberschicht gemeint ist, die er weltweit mit »zehn Prozent der
Bevölkerung« bezifferte. Bei weltweit 14 Millionen Juden und einer
Weltbevölkerung von 6,5 Milliarden Menschen läßt sich der Vorwurf, er
habe die Juden gemeint, also schon durch eine einfache Rechnung
widerlegen.
Diese Haltung hat zumindest die jüdischen Gemeinde in Venezuela
eingenommen. In einem Brief an Sergio Widder, den Leiter des
Wiesenthal-Zentrums in Buenos Aires, protestierte Freddy Pressner,
der Präsident des Bundes der Israelitischen Vereine Venezuelas
(CAIV), gegen den Vorstoß. Rückendeckung bekam der jüdische
Dachverband Venezuelas mit dem Amerikanisch-Jüdischen Kongreß und dem
Amerikanisch-Jüdischen Komitee von zwei führenden Organisationen in
den USA. »Unserer Meinung nach hat Chávez nicht bewußt über Juden
gesprochen«, sagte David Twesky vom Amerikanisch-Jüdischen Komitee
gegenüber dem in New York erscheinenden Traditionsblatt Forward.
Protest gegen Angriffe
Im Gespräch mit junge Welt erhob der CAIV-Präsident Pressner nun
erneut schwere Vorwürfe gegen das Wiesenthal-Zentrum. »Wir fühlen uns
als Gemeinde politisch mißbraucht, wir fühlen uns übergangen und vor
allem fürchten wir den Schaden für unsere Arbeit«, beklagte Pressner
in einem Telefonat am vergangenen Dienstag. Zum dritten Mal binnen 15
Monaten habe das Wiesenthal-Zentrum die venezolanische Regierung
angegriffen, »ohne vorher mit uns Rücksprache zu halten«. Die
Erklärung sei von Buenos Aires aus in Unkenntnis der Lage und der
Meinungen vor Ort verfaßt worden. »Wir haben große Achtung vor Simon
Wiesenthal und seinem Werk«, sagte Pressner, »aber wir haben auch das
Gefühl, daß das Zentrum nach dem Tod seines Gründers im vergangenen
September massiv an Seriosität verliert«. Niemand habe schließlich
besondere Kompetenzen, nur weil er in einer Institution mit einem
prominenten Namen arbeitet, sagte Pressner in Hinblick auf die
Verfasser der Erklärung, und: »Ich glaube, daß sich die
Verantwortlichen von Motivationen leiten lassen, die der
ursprünglichen Intention des Wiesenthal-Zentrums zuwiderlaufen«. Zu
den Vorwürfen selbst wollte der CAIV-Präsident keine Stellung mehr
beziehen. Hugo Chávez habe diese bei seiner Jahresansprache vor dem
Parlament am vergangenen Freitag schon ausgeräumt. »Dem kann ich
nichts mehr hinzufügen«, sagte Pressner, der nach wie vor auf eine
Antwort auf seinen Brief aus Buenos Aires wartet.
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Quelle:
http://www.jungewelt.de/2006/01-20/004.php