Ansicht umschalten
Avatar von rudimarion

7 Beiträge seit 20.04.2008

Teil 2

Drittens sollte sich der Kongress unbedingt ein Bild von der
überwältigenden Größenordnung des Derivatemarktes in den USA machen.
Ein guter Ausgangspunkt dafür ist der quartalsweise erscheinende
Bericht des Office of the Comptroller of the Currency, dessen
aktuelle Ausgabe das erste Quartal 2008 umfasst.

Derivate wurden ursprünglich erfunden, um Risiken zu reduzieren oder
besser managen zu können. Mittlerweile ist weitgehend anerkannt, dass
sich Umfang und Zweck ihres Einsatzes verselbständigt haben und
spekulative Wetten im Vordergrund stehen. Und diese spekulativen
Wetten haben zu einer deutlichen Zunahme des Systemrisikos an den
globalen Finanzmärkten geführt.

Obgleich den Aufsichtsbehörden nur wenige Daten über diese Märkte zur
Verfügung stehen, setzt sich bei den Offiziellen jetzt die Erkenntnis
durch, dass die Panik, die sich aufgrund der Lehman-Pleite im
globalen Bankensystem ausbreitete, ihre Wurzeln an diesen Märkten
hatte.

Folglich sollten sich die Abgeordneten darüber im Klaren sein, dass
zur Vermeidung neuer weltweiter Panikwellen ein Rettungsplan folgende
Fakten adressieren müsste:

Der Nennwert aller von US-Geschäftsbanken gehaltenen Derivate beträgt
180,3 Billionen Dollar.

Das Kreditrisiko im Derivatebereich (Ausfallrisiko von
Handelspartnern) beträgt 465 Mrd. Dollar, 159 % mehr als im Vorjahr.

US-Banken mit dem größten Kreditrisiko sind HSBC mit 7,21 Dollar
Risiko pro Dollar Eigenkapital, JPMorgan Chase mit 4,11 Dollar,
Citibank mit 2,79 Dollar, Bank of America mit 2,15 Dollar und
Wachovia 0,77 Dollar.

Nach dem Zusammenschluss von Bank of America und Merrill Lynch, die 4
Billionen Dollar an Derivaten ausweisen, und nach dem Zusammenschluss
von Wachovia uns Morgan Stanley, die 7,1 Billionen ausweisen, wird
diese Risikokonzentration wahrscheinlich zunehmen.

Der Kongress muss bei seinen Beratungen über das Rettungspaket
darüber im Klaren sein, dass ein Plan, der diese Banken und andere
wichtige Spieler an den Derivatemärkten außer Acht lässt, einen sehr
wichtigen Bereich betrifft, von dem neue Panikwellen ausgehen können.

Viertens, für alle hier genannten Schulden und Derivate würde ein
Rettungsplan unter normalen Umständen zweierlei erfordern: 1)
realistische Schätzzungen von bereits notleidend gewordenen Krediten
und eingetretenen Verlusten und 2) eine Prognose, wie groß die
Verluste werden, falls sich die Rezession fortsetzen sollte.

Die einzigen zurzeit vorhandenen Prognosen sind solche, die bereits
vorgenommene Abschreibungen großer, global agierender Finanzinstitute
reflektieren - mehr als 500 Mrd. Dollar. Diese Zahl beinhaltet
natürlich nicht die tausende anderen betroffenen Einheiten der oben
beschriebenen Sektoren. Sie beinhaltet auch nicht Verlust, die zwar
schon eingetreten sind, aber noch nicht ordentlich buchhalterisch
erfasst wurden - und schon gar nicht jene Verluste, die erst in den
kommenden Quartalen eintreten werden.

Bis heute liegt keine Schätzung der potenziellen Verluste durch eine
staatliche Institution vor. Aber ohne eine solche Schätzung ist eine
Budgetplanung für einen Rettungsplan nahezu unmöglich. Niemand kann
wissen, ob der Rettungsplan das Krebsgeschwür fauler Kredite vom
Körper der Volkswirtschaft entfernt oder ob es weitgehend bestehen
bleibt, schwärt und sich weiter ausbreitet.

Alles in allem sollten Sie sich nicht der Illusion hingeben, dass das
auf 700 Mrd. Dollar taxierte Rettungspaket der Regierung auch nur
annähernd eine Lösung des Schuldenproblems Amerikas erreichen kann.
Es könnte sich als Tropfen auf den heißen Stein herausstellen.

Zu schnell und zu viel für den Markt von US-Staatsanleihen

Sie sollten sich auch keine Illusionen darüber machen, dass der Markt
für US-Staatsanleihen die zusätzliche Belastung einer Rettungsaktion
in Höhe von 700 Mrd. Dollar ohne traumatische Konsequenzen verkraften
kann.

Die offizielle Schätzung des US-Haushaltsdefizits für das Fiskaljahr
2009 sieht einen Anstieg auf 482 Mrd. Dollar vor. Diese Schätzung
wurde allerdings erstellt, bevor die Rettungsaktionen von Fannie Mae,
Freddie Mac und AIG beschlossen wurden und ohne Berücksichtigung des
hier zur Diskussion stehenden Rettungspakets in Höhe von 700 Mrd.
Dollar.

Selbst wenn wir unterstellen, dass es tatsächlich bei den 700 Mrd.
bleibt, drohen die Rettungsaktionen, das Haushaltsdefizit zu
verdoppeln oder gar zu verdreifachen.

Bei der offiziellen 482 Mrd. Dollar-Schätzung des Haushaltsdefizits
wird versucht, die Zahl gering erscheinen zu lassen, indem man darauf
hinweist, dass es sich nur um 3,3 % des geschätzten
Bruttoinlandsprodukts handelt, was handhabbar erscheint. Wenn diese
Schätzung jedoch um die Kosten der schon beschlossenen und der
vorgeschlagenen Rettungsaktionen erweitert wird - wir reden hier über
rund 1 Billion Dollar - dann könnte das Defizit zwischen 8 % und 10 %
des BIP betragen.

Vernünftigerweise kann man wohl nicht davon ausgehen, dass eine
derart dramatische Erhöhung des Defizits einen gleichermaßen
dramatischen Effekt auf das Zinsniveau haben wird. Um für Anleger
attraktiv zu ein, wird das Finanzministerium deutlich höhere Zinsen
anbieten müssen. Und diese höheren Zinsen werden auch die Zinsen für
Hypothekenkredite, Konsumentenkredite, kurz das gesamte Zinsniveau in
die Höhe treiben.
Empfehlungen an den Kongress

von Dr. Martin Weiß

Angesichts dieser Tatsachen geben wir vier Empfehlungen ab:

Empfehlung 1: Bevor Sie irgendeinen Rettungsplan beschließen, der
bestimmte Sektoren des Kreditmarktes betrifft, sollten Sie sich
Gedanken darüber machen, welchen Einfluss die massive Kreditaufnahme
des Staates auf alle Sektoren des Kreditmarktes und auf den Wert des
Dollars haben wird.

Die Geschichte zeigt, dass eine wesentlich geringere Neuverschuldung
des Staates Millionen von privaten Kreditnehmern vom Kreditmarkt
verdrängt hat, zu steigenden Zinsen geführt hat und der gesamte n
Wirtschaft erhebliche Schäden zugefügt hat.

Es liegt nahe davon auszugehen, dass die massive Neuverschuldung, die
zur Finanzierung des vorgeschlagenen Rettungspakets notwendig wird,
einen außerordentlich großen Aufwärtsdruck auf die Zinsen ausüben
wird, wodurch die Kreditkrise nicht etwa gemildert, sondern
verschärft würde. Außerdem besteht die Gefahr eines weiter fallenden
Dollars und eines erheblichen Wohlstandsverlusts breite
Bevölkerungsschichten.

Um diese Konsequenzen zu vermeiden, empfehlen wir dem Kongress, den
Rettungsplan abzulehnen.

Empfehlung 2: Falls der Kongress trotz der beschriebenen Risiken den
Rettungsplan absegnen sollte und den Aufbau einer neuen Behörde
beschließen sollte, die - wie vorgesehen - den Ankauf der faulen
Kredite umsetzt, empfehlen wir, dass diese Behörde ausschließlich zu
Marktpreisen kaufen darf, also erhebliche Preisabschläge durchsetzen
muss, um die mangelnde Liquidität der Anlagen zu reflektieren.
Außerdem sollten sich alle Beteiligten über folgende Punkte klar
sein:

Aufgrund der scharfen Preisrückgänge der vergangenen Wochen und
Monate und der drastisch eingeschränkten Liquidität beträgt der
Marktpreis der notleidenden Anleihen in den Büchern der
US-Finanzinstitute nur einen Bruchteil ihres Nennwerts.

Wenn die Regierung diese notleidenden Anleihen zu Marktpreisen kauft,
werden die Finanzinstitute trotzdem erhebliche Verluste erleiden.

Viele dieser Institute haben nicht genügend Eigenkapital, um diese
Verluste zu verkraften, und werden trotz der Rettungsaktion pleite
gehen.

Empfehlung 3: Der Kongress muss die Öffentlichkeit in aller Klarheit
über folgende Punkte informieren:

Es gibt mehrere signifikante Risiken für das Finanzsystem, die die
Regierung mit neuen Gesetzen gar nicht adressieren kann. Dazu gehören
Kreditausfälle in anderen Kreditsegmenten und bei Derivaten, die eine
Kettenreaktion an Unternehmenspleiten auslösen könnten.

Ganz gleich, ob der Rettungsplan ausreicht, um die Krise zu
bewältigen und Panik an den Finanzmärkten zu verhindern, erstes Gebot
des Regierung muss es sein, ihre eigene Kreditfähigkeit zu erhalten
und für einen stabilen Dollar zu sorgen.

Folglich wird der Privatsektor eine Ausweitung der Kreditkrise
weitgehend ohne staatliche Hilfe meistern müssen.
Empfehlung 4: Statt sich in erster Linie auf ein Sicherheitsnetz für
hoch riskant agierende Institutionelle Anleger und Spekulanten zu
konzentrieren, sollte der Kongress sein Augenmerk darauf richten, die
Sicherheitsnetze für verantwortungsvolle und vernünftig agierende
Privatanleger und Sparer zu verbessern. Dazu gehören:

Die US-Einlagensicherungsgesellschaft (FDIC), die die Sicherheit von
Bankeinlagen garantiert, aber über zuwenig Mittel und Personal
verfügt, um die große Welle an Bankpleiten zu bewältigen, die gerade
begonnen hat.

Die SIPC, die Einlangsicherung für Gelder bei Brokern, die in der
Praxis aber fast nie für erlittene Verluste eingetreten ist.

Verbände, die Versicherungspolicen garantieren sollen, aber in der
Vergangenheit bei großen Pleiten ihr Versprechen nicht einhalten
konnten.

Wenn der Kongress seine monumentale Aufgabe, vor der er hier steht,
nicht mit größter Vorsicht angeht, könnte er am Ende die schlechteste
beider Welten geschaffen haben: einen Fehlschlag hinsichtlich der
Lösung der Kreditkrise und die Schaffung neuer großer Problemfelder,
die lediglich dazu beitragen, die Panik zu verbreiten und das Leiden
zu verlängern.
Bewerten
- +
Ansicht umschalten