Seit Jahren ist für linke Stamm-Leser*innen der redaktionell wundersam geduldete Forensturm durch Nazis, AfD-Fanboys, Identitäre und "besorgte (weiße) Bürger*innen" ein Ärgernis. Nicht nur, dass vorgenannte und deren Seelenverwandte hier im Telepolis-Forum bei heise.de eine extrem billige Möglichkeit gefunden haben ihre wahlweise eher wohlstandchauvinistische oder eher rassistische Propaganda auf einer Plattform unterzubringen, die als "linksliberal" galt. Oder womöglich noch als liberal gilt, was eine umso verheerendere Wirkung auf Gelegenheitsleser*innen hat. Denn die müssen sich ja fragen, ob der im Forum alltäglich reproduzierte Rassismus so ok ist, dass er hier stehen bleibt.
Zu den Motiven, wieso die Telepolis-Redaktion und der heise-Verlag sich damit zum Bestandteil der Diskursverschiebung nach rechts bzw. rechtsaußen haben funktionalisieren lassen, ist im Forum mehrfach spekuliert worden. Weil auch Nazi-Clicks Geld bringen? Weil das Meinungsfreiheit oder Pluralismus sein soll? Was auch immer. Die Redaktion hüllt sich auf ihrer Plattform dazu in Schweigen.
Bei direkten Nachfragen wird auf die (durch wen geleistete?) Moderation verwiesen, die grob menschenverachtende Beiträge - sofern diese von anderen Forist*innen überhaupt noch bei ihr angezeigt werden - öfters löscht.
Die Crux ist leider, dass die Telepolis-Redaktion selbst vor diesem Forensturm von rechts eingeknickt zu sein scheint.
Die Geister, die sie gewähren ließen, haben die Redaktion eingeholt.
Vergleicht mensch die Häufigkeit, mit der über Flüchtlingsthemen in den letzten Jahren berichtet worden war, mit dem, was hier auf Telepolis redaktionell seit der Schließung der griechischen Grenzen für Flüchtlinge Ende Januar diesen Jahres publiziert wurde, schaut mensch weitgehend in die Röhre. Pushbacks durch griechische Grenzer und Bürger (Faschisten) am Evros und auf Lesbos bekamen kaum Aufmerksamkeit. Das Ausschiffen von Geflüchteten auf Rettungsinseln durch die griechische Küstenwache und deren Verschleppung aus griechischen in internationale oder türkische Gewässer ebensowenig.
Mehrfach versuchten die in Moria unter Corona-Quarantäne zusammengepferchten Flüchtlinge in offenen Briefen an die europäische Öffentlichkeit auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Die fanden sich zwar in der taz, wurden aber nicht bei Telepolis zum Thema. Selbst der TP-Experte Wassilis Aswestopoulos, der sonst zu vielen Belangen Griechenlands umfassend informiert, meldete sich hier redaktionell zum Thema der fortgesetzten unmenschlichen Behandlung der Flüchtlinge in den Lagern nicht odr in Randbemerkungen zu Wort.
Und jetzt dieser "technische" Artikel von Herrn Pany, der die Angst vor dem - in mehreren Studien widerlegten - "Pull-Faktor" zum Aufhänger nimmt.
Fehlen die Worte für die Beschreibung des menschlichen Elends der Geflüchteten auf Lesbos? Oder ist das nicht für Telepolis nicht opportun?
Die dort in den Lagern herrschenden Zustände auszubreiten, die auch von der deutschen Bundesregierung in Jahren herbeigearbeitet wurden. (Als die Bild-Zeitung tönte, dass "wir" die Pleitegriechen retten würden, blieb hinter der Schlagzeile verborgen, dass gut 90% der Gelder in den Bailout deutscher und französischer Banken bzw. Bankaktionär*innen flossen, die zuvor bei den griechischen Staatsschulden sich großzügig eingekauft hatten. Schäubles "Härte" war zu verdanken, dass der griechische Sozialstaat im Rahmen der von der "schwäbischen Hausfrau" eingeforderten Austeritätspolitik weitgehend zerschlagen wurde. Der flüchtlingsfeindlichen Politik der aktuellen 'konservativen' griechischen Regierung ist es wohl zu danken, dass den auf 10-15% angewachsenen Neo-Faschisten der "Goldenen Morgenröte" die Wähler*innen weitgehend abgenommen wurden. Ein ähnliches Kalkül scheint auch der deutsche Innenminister mit Blick auf die AfD zu haben. Wobei auch originär wohlstandschauvinistische/rassistische Motive bei seinem Handeln eine Rolle spielen können (z.B. als er sich freute, dass 69 Afghanen an seinem 69. Geburtstag abgeschoben wurden).
Das Dublin-System wurde Anfang der 1990er Jahre eingeführt, damit Deutschland Geflüchtete weitgehend draußen halten kann. Was wir aktuell erleben, ist die scheinbar bevorstehende Realsierung des alten Planes von Otto Schily, der bereits 2004 Lager möglichst vor den Außengrenzen der EU einrichten lassen wollte.
Vgl. zum aktuellen Stand Seehoferscher Pläne auch in Bezug auf die Errichtung eines neuen Lagers in Moria:
https://www.sueddeutsche.de/politik/moria-seehofer-eu-asylpolitik-1.5028608
Soviele oder sowenige schlaglichtartige Anmerkungen zur Verbindung bundesdeutscher Politik und der Situation an den griechischen Aussengrenzen müssen hier genügen.)
Während hier auf Telepolis die Berichterstattung über die Proteste der Corona-Maßnahmen-Gegner*innen breiten Raum einnahm, wurde über die Protestkampagnen, die zuvor unter härteren Lockdown-Bedingungen von flüchtlingssolidarischen Menschen unter dem Hashtag #leavenoonebehind und #wirhabenplatz nicht nur virtuell sondern auf Straßen und Plätzen stattfanden, nicht berichtet.
Welche Motive und welche Effekte diese Art von Aufmerksamkeitsökonomie der Redaktion hat, kann ich nur mutmaßen.
Hinsichtlich der Entwicklungen zur Flüchtlinspolitik empfehle ich erneut die Seite der Forschungsgemeinschaft Flucht und Migration.
https://ffm-online.org/
Berichte aus Lesbos liefert Franziska Grillmeier seit langem zuverlässig :
https://twitter.com/f_grillmeier
Es gehr nicht nur um die (wohl mehr als) 12.000 Flüchtlinge in Moria. Derzeit wird in meinen Augen eine Debatte mit dem Ziel der Ablenkung von Kernthema geführt: ob es jetzt 500 oder 5000 Flüchtlinge sein sollen, die in Deutschland Zuflucht finden sollen, lenkt von der bisherigen Zementierung der Festung Europa und der weiter geplanten Schritte hin zu ihrem Ausbau ab. Diese Debatte dient einer Reihe von Verantwortlichen für das gegenwärtige menschenrechtliche Desaster der deutschen Flüchtlingspolitik als humanitäres Mäntelchen. Die Regierungsparteien CDU/CSU/SPD haben den Ausbau der Festung Europa seit dem Sommer der Migation 2015 systematisch vorangetreiben. Und menschenrechtsbewegte Mitglieder von
CDU/CSU/SPD/FDP/Grünen und selbst Teilen der Linken haben in den letzten Jahren viel zu wenig unternommen, den Ausbau des europäischen Grenzregime hin zur Festung Europa zu stoppen. Die Ernstaftigkeit im Engagement von Einzelpersonen der Grünen wie Erik Marquardt oder des Linken Andrej Hunko und anderen will ich damit nicht in Frage stellen; doch sie müssen sich alle fragen lassen, welche praktischen Konsequenzen aus ihrem Engagement für die Haltung der jeweiligen Bundes- oder Landesparteien erwuchsen, wenn es um die Beteiligung von Landespolizeien an Frontex-Einsätzen, "Ausbildungsmissionen" oder die jeweilige Abschiebepolitik geht.
Seehofers geplante "europäische Lösung" ist ein weiterer Sargnagel auf dem Weg zur Entrechtung Geflüchteter.
Die von ihm und von der Leyen, aber scheinbar auch von Merkel und Scholz angestrebte weitergehende Institutionalisierung der Festung Europa gilt es zu verhindern. Dass die Geflüchteten aus allen griechischen Lagern hierher evakuiert werden müssen, sollte ausser Frage stehen. Und wenn jetzt der Widerstand der griechischen Regierung gegen eine solche Evakuierung als Argument aufgerufen wird, so könnte sich die EU-Kommission angesichts der eklatanten und fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen gegenüber Geflüchteten zu einem längst überfälligen Vertragsverletzungsverfahren gezwungen sehen. Das ist eine Frage politischen Willens, der bislang fehlt. Und die Kommission ist mit ihrer gegenwärtigen Anti-Flüchtlingspolitik bislang politisch weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit gesegelt, sieht mensch von von-der-Leyens Abnicken der massenhaften Pushbacks von Geflüchteten am Evros ab.
Vgl. zur Illegalität des gegenwärtigen griechischen Grenzregimes (mit Link zum detailierten Report):
https://www.oxfam.de/presse/pressemitteilungen/2020-07-02-abschiebung-statt-schutz-griechisches-asylrecht-angriff
Vgl. zum Ausbau des griechischen Grenzregime nach Vorstellungen von McKinsey, finanziert von der EU:
https://www.gmx.ch/magazine/politik/dubioser-992000-euro-vertrag-eu-fluechtlingspolitik-mckinsey-art-34909140
Ich denke, dass es angesichts des Trends zur Faschisierung in vielen Staaten auch für Menschen, die bisher wenig Interesse oder Mut zeigen, sich öffentlich einzubringen, darauf hinausläuft, ihre Resignation/Apathie aufzugeben oder eben im de-facto Einverständnis mit dieser Form der Barbarei zu leben.
ent-täuschen
Semi-OT: ein Kommentar von den Seiten des Verfassungsblogs zum Vorgehen des CSU-Spezis Andreas Scheuer die Seenotrettung lahmzulegen:
Wenn der Vorhang fällt
NGO-Schiffe im Mittelmeer und ein fragwürdiges Rechtsstaatsverständnis des Verkehrsministeriums
Vera Magali Keller, Nassim Madjidian, Florian Schöler - 07.09.2020
https://verfassungsblog.de/wenn-der-vorhang-faellt/
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (14.09.2020 00:33).