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80 Beiträge seit 26.11.2005

Wegen mir lieber heute als morgen

Erstmal muß ich sagen, dass ich deiner Idee ziemlich aufgeschlossen
gegenüberstehe, denn Naturalismus hat schon was für sich. Die
Probleme mit denen wir uns bei der Umsetzung konfrontiert sehen, sind
allerdings gar vielfältig. Die Frage mit der Produktivität rührt
daher, dass wir ja auch andere Menschen vom Tribalizmus überzeugen
müssen. Diese wollen aber ihre zivilisatorischen Errungenschaften und
Bequemlichkeiten ungern aufgeben. Deswegen muss die Produktion auch
aufrechterhalten werden. Spinne ich das mal so weiter, komme ich zu
dem Schluß, dass ich eigentlich auch nicht auf einen Computer und das
Internet verzichten möchte. D.h.

> Einige Gründe sprechen für dieses Konzept (es gibt noch mehr):

> -Es gibt keine großen anonymen Kassen, in die man einzahlt oder aus
> denen man etwas bekommt: Das Geben und Nehmen ist mit Gesichtern,
> also mit Menschen verbunden. Das wiederum führt zu automatischen
> Kontrollmechanismen, was die Verteilung der erwirtschafteten Güter
> betrifft (der Griff in die Kasse fällt auf).

Das kann auch übel enden, wenn man zum Beispiel von einigen
Kassenbearbeitern nicht gemocht wird. Wie wird sichergestellt, dass
ich nicht aufgrund unbegründeter Abneigungen von einem
Bürokratiekomplex, egal wie geartet auch immer abhängig bin?
Entwickeln wir das mal weiter. Die Kassenarbeiter bekommen über ca.
drei Generationen Kinder. Jeder Kassenarbeiter drei. Wie wird
gewährleistet, dass sich bei den Kassenarbeitern keine Oberschicht
aufgrund von Abstammung bildet. Mir ist der Sinn von Hierarchien
schon klar, nur scheitert jede noch so gute Idee am Menschen, und man
muss eben versuchen vorauszuplanen. Wie verhindern wir, dass die
Kassenarbeiter ihre Kinder in egalitäre Positionen hieven, die dann
den Rest ausbluten.

Denn der schlimme an der Bürokratie ist, dass sie immer Aufgaben
finden wird, eben weil sie sie sucht. Sei es Sicherheit, Kontrolle,
Verteilung, usw. Wäre ein Pauschaler Verteilungschlüssel nicht
wesentlich besser, sozusagen ein garantierter Anteil aus dem
Gemeinvermögen?

> -Obwohl es egalitäre Gesellschaften sind existieren Rang und Prestige
> (was die Hippies nie kapiert haben und weshalb sie nie Stämme gründen
> konnten). Die Kernfrage lautet: Wie definiert sich Prestige? Dies ist
> eine reine Frage der Kultur: Im angesprochenen Fall ist das Ansehen
> proportional zur für die Allgemeinheit erbrachten Leistung, zur
> Großzügigkeit. Und Menschen wollen nun einmal respektiert und geliebt
> werden. So wird sogar Egoismus zu Altruismus.
> -Die „übergeordnete“ Organisation (eben die Lakota an sich) und die
> damit eingehende Verpflichtung der „bands“ und Stämme, sich im
> Notfall gegenseitig zu unterstützen, führt wegen der Autonomie der
> Einzelgruppen nicht zur Bildung einer herrschenden Kaste.
> -In einer solchen Gemeinschaft haben die in einem rein
> marktwirtschaftlich organisierten System unwirtschaftlichen Elemente
> wie Alte und Kinder durchaus ihre geachtete Position und
> Existenzberechtigung. Das Problem nicht vorhandener Kinderbetreuung
> und unbezahlbar werdender Altersheime existiert schlichtweg nicht.

> Ganz entscheidend aber ist bei alledem, und jetzt komme ich zu deiner
> Frage, die Existenz von Gemeineigentum (in England die commons, bei
> den Germanen die Allmende): Ein Stamm funktioniert nicht ohne
> wirtschaftliche Basis. Ein Stammesmitglied, das sich emotional wie
> rational dem Weiterbestehen seiner Existenzgrundlage verbunden sieht,
> wird den Teufel tun und diese gemeinsame Grundlage beschädigen. Zumal
> die anderen ja auch ein wachsames Auge darauf haben. Das erste Gebot
> im Katechismus der Neoliberalen, dass nur Privateigentum schonend
> behandelt, dauerhaft gepflegt und optimal genutzt wird, ist
> historisch erwiesenermaßen völliger Blödsinn.

> Gemeineigentum ist dabei immer das, was zur Produktion elementar
> notweniger Güter unbedingt erforderlich ist. Das bedeutet auch:
> Lokale Wirtschaftskreisläufe implementieren, um soweit wie möglich
> unabhängig von Schwankungen der Marktpreise zu sein. Nie wäre ein
> Stamm auf die Idee gekommen, ausschließlich „auf Perlenarbeiten zu
> machen“: Das Risiko, auf den Dingern sitzen zu bleiben und zu
> verhungern ist einfach zu groß. Und: Man wird erpressbar. Frag mal
> die Kaffeebauern.

Aber dann mußt du ja in einem Stamm die komplette Wirtschafts- und
Kulturkette abbilden. Entweder durch Alleskönner, was einen
Produktivitätsrückgang bedeutet, oder durch Spezialisten. Bei kleinen
Stämmen ist das schwierig. Im Endeffekt weiß ich was du willst, dass
System wäre viel ausgeglichener und ruhiger. Aber nehmen wir nur mal
an, dass es einen kapitalistischen Stamm aus Manchester gäbe, der
seine Mitglieder ordentlicht striezt, dann wäre der Lakota-Stamm
diesem wirtschaftlich, und kurz darauf auch militärisch unterlegen.
Ich bin kein Kriegstreiber, aber die Freunde des Individualeigentums
sind überall, und es ist einfach nur farlässig anzunehmen, dass sie
verschwinden werden und sich nie mehr wieder entwickeln werden.

> Und wie kann das alles mit modernen Strukturen verbunden werden? Zum
> Beispiel spricht erst einmal nichts dagegen, als „Söldner“ für ein
> normales, kapitalistisch organisiertes Unternehmen zu arbeiten und
> trotzdem ein Stammesmitglied zu sein (und zu bleiben). Ebenso ist es
> für ein Unternehmen eigentlich egal, wem es gehört – die „tribally
> owned companies“ funktionieren durchaus. Und Unternehmen auf
> Stammesland sind auch kein Problem – nur: Es ist und bleibt
> Stammesgebiet, kann also verpachtet werden, ist aber unverkäuflich.
> Es existiert also durchaus Privateigentum und in der Folge auch
> Kapital, ist aber eingeschränkt.

Tribally owned companies. Das sind doch im Endeffekt
Genossenschaften. Die funktionieren auch recht gut. Man sollte sich
als Konsument für solche Zusammenschlüsse entscheiden.

MfG
Der Vize

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