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  • Oglala

mehr als 1000 Beiträge seit 25.01.2006

Kurze Erklärung des Neotribalismus

Es ist zugegeben schwer, den kommunitaristisch/tribalischen Ansatz zu
verstehen. Also versuche ich es mit einfachen Schlüssen, die der
Denkweise des Westens entsprechen:

(für alles, was nun kommt gibt es Ausnahmen, die aber die Regel nur
bestätigen)

1) Der Mensch ist nicht grenzenlos egoistisch und vor allem ist sein
Egoismus eben nicht auf materielle Güter alleine beschränkt. Das
Streben nach sozialer Anerkennung ist ebenso hoch.
2) Soziale Strukturen richten sich letztendlich nach
Wertvorstellungen und werden in Kindheit und Jugend erlernt.
3) Das Gefühl für Gut und Böse, Stolz und Schuld ist von der
jeweiligen Kultur abhängig und von dem Erleben der Handlungsfolgen.
4) Verantwortungsvolles Handeln kann nur entstehen, wenn eine
Rückkopplung zu den Folgen der Handlung besteht.

Das Leben, insbesondere das Aufwachsen in Gemeinschaften ist eine
völlig andere Sozialisierung als die des scheinbar völlig
unabhängigen Individuums. Die Folgen:

1) Die impliziten Regeln einer Gemeinschaft, die auch über
Gemeineigentum verfügt, führen bei Egoismus des Einzelnen auch zur
Mehrung des Gemeineigentums oder anderen Handlungen, die der
Gemeinschaft nützen – da sonst der soziale Aufstieg verwehrt bleibt.
2) Es dürfte bei Leuten wie Hundt, Sinn und Co schlichtweg unmöglich
sein, Wertvorstellungen jenseits von Raffgier und Eigennutz zu
implementieren. Es handelt sich um ein langfristiges Projekt, da sich
Kultur und ihre Wertvorstellungen nur langsam verändern.
3) Es gibt weder eine absolute Gerechtigkeit noch eine absolute
Definition von Gut und Böse. Die Gefühle von Stolz und Scham sind
ebenfalls vom kulturellen Kontext abhängig – und wer ist nicht gerne
stolz. Wenn diejenigen, die zum Schaden der Gemeinschaft handeln, mit
Ignoranz und den-Rücken-zudrehen gestraft werden, bei sich positiv
auf die Gemeinschaft auswirkenden Leistungen jedoch öffentlich gelobt
und erwähnt werden, wird sich das Streben auf positive Leistungen
richten.
4) Wenn ich nicht sehe, was meine Handlungen für andere bedeuten,
findet keinerlei notwendige Reflektion und damit auch kein
Lernprozess statt. Es gibt sogar schon Firmen, die dies eingesehen
haben und Beauftrage beschäftigen, die die Folgen der Handlungen des
Unternehmens kritisch untersuchen.

Die Ursache des ganzen Elends liegt also nicht in der Existenz von
Kapital an sich, der Aufklärung oder rationalem Denken, sondern an
der unbegrenzten Vermehrungsmöglichkeit des Kapitals, an fehlenden
Rückkopplungen der ausgelösten Folgen und leider auch an der komplett
gescheiterten Sozialisierung etlicher Mitbürger. Es handelt sich
schlicht um ein Systemproblem, da die bindungslose Massengesellschaft
offensichtlich keinerlei wirksame Kontrollmechanismen entwickelt
konnte und kann, um den ständigen Entgleisungen und Fehlentwicklungen
wirkungsvoll entgegenzutreten. Sie ist offensichtlich unfähig,
Mechanismen zu entwickeln, um ihr Fortbestehen und damit die
Lebensgrundlage ihrer Mitglieder dauerhaft zu sichern und ein
erfülltes, glückliches und zufriedenes Leben zu ermöglichen.
Stattdessen nur Kampf, Zank, Neid und Ausgrenzung – und am Ende immer
wieder der Untergang.

Warum das so ist, spielt für Tribalisten oder Kommunitaristen eine
untergeordnete Rolle. Entscheidend ist, dass die Menschheit schon
lange ausgestorben wäre, wenn sich die Stämme derartig
verantwortungslos verhalten hätten wie wir. Sie wären schon an ihrer
fehlenden Einheit zugrunde gegangen. Es gibt also eine Lösung.

Alle Religionen, Ethiken und Wertesysteme verfolgen letztlich den
Ansatz, aus Kindern verantwortungsvoll handelnde Erwachsene zu machen
und eine Umgebung zu schaffen, in der die Menschen möglichst gut
leben können. Aber von der Kanzel predigen oder in der Glotze zu mehr
Ehrlichkeit und Gemeinsinn aufzufordern ist schlicht und einfach
Tünneff. Die überragenden Ergebnisse der alljährlichen
Neujahrspredigten kann sich jeder selbst ansehen: Null, nada, nichts.
Es gibt nur eine langfristige Lösung: Verantwortung muss gelernt und
gelebt werden, und dazu braucht es Gemeinschaften und keine
Massenmedien. Also muss man den Gemeinschaften eine Möglichkeit
geben, sich zu gründen und zu entwickeln. Ihnen die Möglichkeit
geben, Wirtschaftskreisläufe zu implementieren, das Überleben zu
erlernen und an der „großen“ Wirtschaft zu partizipieren. Den „neuen
Gutmenschen“ wird es nicht geben, aber Verantwortung kann gelernt und
gelebt werden.

Das allerdings, räume ich ein, ist in der Tat eine Systemveränderung.

Mehr über alte und neue Stämme, was ein Stamm eigentlich ist etc.,
wenn auch noch nicht gerade fertig, unter www.tiyospaye.de .

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