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190 Beiträge seit 25.08.2021

Faktencheck für den Faktencheck

Was sind Langzeitfolgen?

Duden: “Folge, die sich erst nach einer gewissen Zeit auswirkt bzw. die sich über eine lange Zeit hin auswirkt”

Es sind also
(a) Folgen, die sich erst nach einer gewissen (also undefinierten) Zeit ergeben. Ein Beispiel: Ein Raucher kann nach 20 Jahren an Lungenkrebs an Folge des Zigarettenkonsums erkranken. Die Definition “lang” bezieht sich also auf den Zeitraum zwischen der Ursache und dem Eintreten der Krankheit

(b) Folgen, die gleich oder nach kurzer Zeit auftreten, deren Wirkung dann aber für lange Zeit anhält, oder nie wieder verschwinden:

Beispiel 1: Eine Herzmuskelerkrankung verursacht durch ein Virus, und die daraus resultierende Beeinträchtigung der Herzfunktion für den Erkrankten nach Abklingen der Infektion.
Beispiel 2: Niki Lauda: Nach seinem schweren Formel 1 Unfall 1976 auf dem Nürburgring, bei dem seine Lungen verätzt wurden, konnte er nach nur 6 Wochen wieder in einem Rennauto fahren, obwohl er beinahe an seinen Brandverletzungen verstorben wäre. Zeit seines Lebens waren seine Lungen aber beeinträchtigt. Im Mai 2019 verstarb Lauda, 43 Jahre nach seinem Unfall nachdem er 2018 schwer an der Lunge erkrankt war und er eine Lungentransplantation erhalten hatte. (Der ganze Vorgang war noch komplizierter, da er wegen der Behandlung seines Unfalls auch neue Nieren brauchte und er in der Tat daran verstarb, aber die Einzelheiten kann man nachlesen).

Die Definition “lang” heißt also hier, dass das Problem zeitig auftritt und dann lang anhält oder nie verschwindet (bis zum Tod)

Zu behaupten, es gäbe in der Medizin, auch bei Infektionskrankheiten, keine Langzeitfolgen im ersten Sinne (siehe Definition (a)), ist also falsch.

Zu potentiellen Langzeitfolgen nach Impfungen nach obiger Definition (a), also Folgen, die erst nach langer Zeit auftreten oder sichtbar werden:

Ähnlich wie beim Rauchen und dem Lungenkrebs, bei der Erderwärmung, bei Asbest, bei Radioaktivität (entweder in der Nähe von KKW oder aber bei Überbelastung durch Röntgen usw)., Feinstaub, vielen Krebserkrankungen, Autoimmunerkrankungen, uvm ist die Zuordnung (Attribution) von Ursache und Wirkung nicht trivial. Deshalb konnte die Zigarettenindustrie auch jahrzehntelang behaupten, dass Rauchen nicht ungesund sei. Deshalb hat man erst nach Jahrzehnten die Gefährlichkeit von Asbest bemerkt. Deshalb kennt man bis heute nicht die genauen Auswirkungen von Kernenergie auf die Umgebung, den genauen Einfluss der CO2 auf das Klima (nein, ich stelle das nicht in Frage), weiß auch nicht genau wann Krebs auftaucht und warum.

All diese Zusammenhänge sind auch nicht linear, da manche Menschen (Helmut Schmidt und seine Frau) als Kettenraucher steinalt werden, während andere nach nur 10 Jahren schlimmsten Krebs bekommen. Viele Faktoren können bei solchen Langzeitfolgen eine Rolle spielen und es ist statistisch und medizinisch unglaublich schwer, die Ursachen aufzuschlüsseln.

Was man machen kann, sind zum Beispiel Attributionsstudien, wie man sie in der Klima- und Umweltforschung nun macht, in denen man mit mathematischen Modellen errechnet, wie groß der Einfluss der jeweiligen möglichen Ursachen in der Tat ist. Das ist allerdings je schwerer desto komplexer das System ist, im Prinzip ist es wie in der Algebra, wo man Gleichungen mit mehreren Unbekannten auflöst. Je mehr Unbekannte, desto schwerer die Lösung - oder gar unmöglich.

Eine andere Möglichkeit ist der Ausschluss aller anderen Faktoren durch repräsentative Langzeitstudien: Bei Impfungen könnte man zum Beispiel zwei Kohorten bilden, die in allen relevanten Aspekten gleich sind (sozioökonomisch, geschlechtlich, Altersgruppen, etc. ), nur eine Gruppe ist eben geimpft, die andere nicht. Da könnte man dann nach 20-30 Jahren sehen, ob es bei der einen Gruppe zu Langzeitnebenwirkungen nach Definition (a) kommt oder nicht.

Nun ist es aber gerade bei Impfungen schwer, solche Studien zu machen, da dies aus zwei Gründen verpönt ist:

1. Es werden ethische Bedenken geäußert, dass man, würde man eine Gruppe nicht Impfen - vor allem bei Kindern - man diese dem Risiko der Erkrankung aussetzen würde. Vor allem bei Polio, Tetanus oder Masern könnte das in der Tat zu deutlich höheren Todesraten bei den Ungeimpften führen.
2. Man will keine Zweifel an dem Konzept der Impfung schüren. Solche Studien würden ja bedeuten, dass man ggf Zweifel am Verhältnis Nutzen-Risiko habe und dies nun untersucht werden müsse.

Die Argumente sind auf der einen Seite verständlich, auf der anderen hinterlassen sie aber einen fahlen Beigeschmack. Ganz offenbar sind die Impfnebenwirkungen bei bisherigen Impfstoffen (Polio, Tetanus, Diphterie etc) derzeit nicht so auffällig, dass hier Handlungsbedarf besteht, allerdings war das nicht immer so. Es gab in den letzten 50 Jahren viele Probleme mit Impfstoffen, viele wurden wieder vom Markt genommen.

Es gibt auch Studien (ich muss die mal suchen), die scheinbar belegen, dass Autoimmunerkrankungen seit den 1950er Jahren massiv zugenommen haben. Hier ist dann wieder die Frage nach der Attribution: Ist es wirklich so, oder wird das jetzt einfach mehr diagnostiziert, weil man das früher nicht kannte? Bei Diphtherie: Kann die Abnahme auch einfach mit den besseren hygienischen Verhältnissen erklärt werden? usw. usw.

Wir halten also fest: Es kann durchaus anders als im Artikel behauptet, beide Arten der Langzeitfolgen geben, auch und gerade bei dem noch wenig erforschten neuartigen Impfungen/Gentherapien. Das gleiche gilt im Übrigen auch für die Folgen einer COVID-19 Erkrankung selbst, bei der es für einen bestimmten Prozentsatz, ähnlich wie bei anderen Atemwegserkrankungen zu Langzeitfolgen (nach Definition (b): Long Covid - hier ist aber die Frage, wie lange "lange" tatsächlich ist) kommen kann.

Was ich aber interessant finde ist, dass auf der einen Seite vor Langzeitfolgen von COVID-19 gewarnt wird, andererseits aber Langzeitfolgen der Impfungen ausgeschlossen werden (und vice versa). Beides ist schlicht nicht abzusehen, denn Langzeitfolgen (egal ob Kategorie (a) oder (b)) sind eben erst nach langer Zeit zu beobachten.

Und wenn man nach Langzeitfolgen der Kategorie (a) schlicht nicht explizit sucht sondern sie kategorisch ausschließt (Langzeitfolgenleugner?), wird man sie auch nicht finden.

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