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  • kemmerich

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Re: Vielleicht sollten wir einen Monat mal auf fossile Energieträger verzichten

Naturzucker schrieb am 23.07.2023 16:28:

Vielleicht sollten wir für den Anfang einen Monat lang auf fossile Energieträger verzichten. Energie gibts dann nur noch aus AKW, Geothermie, Wasser, Sonne und Wind.

Das würde bereits nach einem Tag in eine Katastrophe münden. Das wissen auch alle.

Ich denke, dass dieses Experiment nach wenigen Tagen wieder abgebrochen würde. Und vielleicht kapieren dann mehr Menschen, dass es noch wichtigere Dinge gibt als den Kampf gegen fossile Energieträger.

Ich glaube, das Problem ist auch ohne Experiment bekannt: Unsere Gesellschaft ist abhängig von den vielen Kunstwelten, die sie in den letzten 200 Jahren errichtet hat. Dabei handelt es sich um Technik, und Technik benötigt Energie. Bislang stand uns ein natürlicher Akku von ungeheurer Energiedichte und einer Handlichkeit, die ihresgleichen sucht, zur Verfügung. Diesen Akku dürfen wir nicht mehr anzapfen, weil uns sonst mittel- bis langfristig der Untergang droht. Der Untergang droht unserer Zivilisation aber auch, wenn wir die Kunstwelten einfach wieder aufgeben - und zwar sofort, also in dem Moment, wo wir's tun.

Daraus ergibt sich die Aufgabe, einen Wandel zu planen und schrittweise durchzuführen. Dabei muss man aber erstmal wissen, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Und da scheiden sich die Geister: Eine Mehrheit möchte alles so lassen, wie es ist, nur eben auf umweltfreundliche Art. Die Technik soll's richten, dafür steht symbolisch das E-Auto. Eine Minderheit ist der Ansicht, dass Technik allein nicht reichen wird und wir nicht drumherumkommen werden, Verzicht zu üben: Schluss mit Fliegen, Streamen, Autofahren, täglich Fleisch, Eigenheim, Werbung, Konsumrausch, und so weiter. Ein Leben auf deutlich niedrigerem Niveau, aber eben trotzdem mit moderner Medizin, Mobilität, Kultur, Genuss u.v.a.m. - was erneuerbare Energie eben so hergibt.

Schwierig daran ist, dass es sich um unterschiedliche Konzepte handelt, die zu entsprechend unterschiedlichen Maßnahmen führen.

Die Fans des "grünen Wachstums" tun im Grunde nichts und vertrauen auf die Kräfte des freien Marktes: Er soll das böse fossile Zeug unattraktiv machen und gleichzeitig Anreize für Unternehmen setzen, in grüne Technologien zu investieren. Der Fortschritt ist in dieser Vorstellung allein abhängig von der Intensität der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, aber sonst gibt es keine Grenzen - alles ist machbar, man muss nur wollen. Und "einfach mal machen", wie Carsten Linnemann das ausdrückt.

Postwachstumsökonomen wenden ein, dass es sehr wohl physikalische Grenzen gibt und nicht jede Technik, die man gerne hätte, auch realisierbar ist. Und schon gar nicht zu geringen Kosten: Wenn eine Einheit Energie aus fossilen Quellen um den Faktor 10 billiger ist als eine Einheit Energie aus erneuerbaren, dann kann man lange warten, bis jemand unter Wettbewerbsbedingungen und Wachstumsdruck in EE investiert. Nun kann der Staat die Daumenschrauben anlegen und fossile Energie extrem teuer machen, wird das aber nicht lange durchhalten können, weil dann die Wirtschaft zusammenbricht - Energie wird ja überall gebraucht! Wenn's wirklich so steht, dann ist Klimaschutz nur möglich, wenn man das Wirtschaftssystem ändert, und damit müssten wir dann auch langsam mal anfangen.

Zwei grundsätzliche Konzepte, aber wir können nur eines davon verfolgen.

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