Schon die Überschrift dieses Artikels offenbart einmal wieder die übliche Verkürzung der psychologischen und sozialen Funktionen von Religion und damit einen eklatanten Mangel an wissenschaftlicher Sachkenntnis seitens des Autors.
Richtig wäre zu sagen: "Religionen wirken für arme Menschen auch als eine Art 'Opium'", denn das ist de facto nur ein Begleiteffekt der eigentlichen Funktion als psychologisches Regulativ zum Erhalt der eigenen Handlungs- und Überlebensfähigkeit. Um es einmal aus religionswissenschaftlicher (nicht theologischer!) Sicht sehr verkürzt darzustellen:
A. Der Mensch ist ein instinktentbundenes Wesen, d.h. er interagiert mit seiner Umwelt nicht mehr in einem fest verdrahtetem Reiz-/Reaktionsmuster, sondern auf der Grundlage einer mehr oder weniger komplexen Simulation der Realität in seinem Neo-Kortex.
B. Um mit dieser Simulation nicht in eine ökologische Nische zu geraten, kann sie nach einer bisher inkompatiblen Wahrnehmung - sprich einem inkompatiblen Input aus der Realität – hinterfragt und mit dem psychologischen Mittel des "Zweifelns" dekonstruiert und dann in aktualisierter Form neu konstruiert werden.
C. Da grundsätzlich Alles hinterfragbar und dieser De-Konstruktor damit generell unbegrenzt ist, hat er auch das Potential, die Simulation soweit zerlegen, dass von ihr praktisch gar nichts Tragfähiges mehr übrigbleibt, das als Basis einer neuen Simulation dienen könnte. Der Mensch "verzweifelt" im wahrsten Sinne des Wortes und verliert damit auch seine Überlebensfähigkeit.
D. Um die De-Konstruktion der Simulation an geeigneter Stelle wieder stoppen zu können, existiert also ein psychischer Schutzmechanismus, der den Fragemechanismus augenscheinlich "unbegründet" wieder stoppt. Dabei wird auf einer Meta-Ebene entschieden, dass man die Hintergründe des Sachverhaltes genug durchdrungen hat und die nächste Frage nicht mehr stellen muss, um zu einem neuen adäquaten Umgang mit der Realität zu gelangen. Alles was "dahinter" liegt, wird also ungeprüft vorausgesetzt und im eigentlichen Sinne des Wortes "geglaubt".
Und eben hier liegt die eigentliche Bedeutung der Religionen, denn sie bieten den Menschen eine intersubjektive Möglichkeit, die Meta-Ebene zu strukturieren und klassifizieren und sie damit auch im sozialen Kontext zu kommunizieren. Dies dient dem Zusammenhalt der Gruppe, die nun von einem gemeinsamen Antwortkatalog ausgeht, ohne ggf. zu lange Grundsatzdiskussionen handlungsfähig ist und statistisch gesehen schlicht eine höhere Überlebensfähigkeit bekommt.
Soweit zu den religionswissenschaftlichen Grundlagen, die übrigens auch für "nicht religiöse" Menschen gelten, die an die unhinterfragbare Wahrheit "der Wissenschaft", "des Marktes", "des Kommunismus", "des Amerikanischer Exzeptionalismus", "der Wokeness", "des eigenen Wissens" oder was auch immer glauben.
Dass in diesem Mechanismus qua der postulierten Konstrukte und der sozialen Machtverhältnisse auch die Gefahr des politischen Missbrauchs liegt, indem berechtigte Fragen zu eben diesen Verhältnissen bei Seite gedrängt und die potentiell Fragenden eingelullt werden, ist definitiv nicht zu leugnen. Dies liegt aber nicht in der (psychologischen) Natur der Religion begründet, sondern in der Institutionalisierung, die die Machtverhältnisse zementiert, und es tritt auch bei allen anderen Glaubenssystemen auf, die psychologisch als Ersatz dienen mögen.
Aber last but not least ist bei diesem Artikel zu beachten, dass die erwähnte internationale Studie gar nicht Religionen an sich untersucht, sondern nur das Momentum der psychologischen Resilienz durch Religion. Wie eingangs erwähnt verführt nur sein eigener Mangel an wissenschaftlicher Sachkenntnis den Autor als zu einem pauschalen Bashing von Religion, das bei genauer Betrachtung wirklich jeder Grundlage entbehrt.
Kann man nur noch sagen: "Setzen, fünf!"
ASALE