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  • Sentinel

mehr als 1000 Beiträge seit 08.05.2023

Asymmetrische Kriegsführung- und die Presse macht mit

Die #MeToo Debatte war anbetracht der immensen Dunkelziffer an Missbrauchsfällen, unter denen ausschließlich hierarchisch Inferiore Personen zu finden sind (überwiegend, aber nicht ausschließlich Frauen) schon ein wichtiges und gutes zivilisatorisches Werkzeug, dessen soziale Kontrollfunktion darin lag, dass es nun keinen dicken Kaschmirteppich des Schweigens mehr gab, unter den sich jegliche Schandtat kehren ließ.
Wer sich dessen bewusst ist, dass alles, was er anrichtet, ans Licht kommt, wird sich eher zurückhalten, als jemand, der sich qua seiner Stellung und Macht als praktisch unangreifbar erlebt.

Bis dahin war die sexuelle Belästigung, Nötigung und Ausbeutung Untergebener bzw. (vermeintlich) Schwächerer eine asymmetrische Angelegenheit in der der Unterlegene nur verlieren konnte, egal was er oder sie tat:
Unternahm die betroffene Person nichts, musste sie mit der ihr angetanen Gewalt und deren Woederholung leben.
Wehrte sie sich, wurde sie gefeuert, Karriere ruiniert, bedroht und man glaubte ihr zumeist ohnehin nicht.

Mit MeToo wurde das ganze aber nicht zu einer symmetrischen Angelegenheit auf Augenhöhe, sondern das Pendel schlug in die andere Richtung um:
Die öfentlich beschuldigte Seite war nun einem Generalverdacht ausgesetzt, zumal im öffentlichen Raum der sozialen Medien, was fast immer auch von der Breitenpresse aufgegriffen und so erst zu einer "Sache" gemacht wurde.
Andreas Türk etwa verlor seinen Job als bis dahin sehr erfolgreicher Moderator bei Pro 7 und hat sich trotz Freispruchs (Beschuldigungen waren frei erfunden) nie wieder richtig erholt.
Spacey ist in Hollywood komplett vernichtet worden, eine persona non grata, mit der an den Kinokassen nie wieder Geld zu machen sein wird.
Kachelmann wurde von Schwarzer und BLÖD medial zerstört: Arbeit futsch, Ansehen futsch, Sponsoren weg, erst nachdem er sich anfing zu wehren, kamen berechtigte Zweifel an der Story der Anklägerin auf und er wurde freigesprochen. Nun ist Kachelmann zwar rehabilitiert, aber nur auf dem Papier. Medial spielt er bestenfalls die dritte Geige.
Sogar der etwas eklige Dominique Strauss-Kahn wurde freigesprochen bzw. die Anklage gegen ihn fallengelassen, nachdem klar wurde, dass die Anklägerin komplett unglaubwürdig war und sich in Widersprüche verwickelt hatte. Tja, Kahns Karriere war da aber schon zerstört.

Also:

Aus einer zuvor asymmetrisch den Stärkeren/Mächtigeren bevorzugenden Situation ist nun eine den Inferioen/Kläger bevorzugende Bedingung geworden.

Hier müsste man die intellktuellen Medien doch in die Pflicht nehmen, diese Rahmenumkehr zu bemerken und verantwortungsvoll damit umzugehen:
Wenn ich weiß, dass ein Vorwurf im öffentlichen Raum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Menschen und dessen weitere Laufbahn vollständig zerstören kann - und zwar unabhängig vom Wahrheitsgehalt des Vorwurfs - dann kann ich doch nicht mir nichts dir nichts in großem Umfang solche Vorwürfe kolportieren und sie multiplizieren und damit aktiv zur Zerstörung eines Menschenschicksals beitragen.
Dann muss ich mir eben überlegen, wie ich meiner Informationspflicht nachkommen kann, ohne dabei den Beschuldigten weiter zu ruinieren, zumindest nicht bevor dessen Schuld erwiesen wurde.

Offen gesagt, weiss ich auch nicht, wie man so etwas hinkriegen könnte, vielleicht ist es auch unmöglich.
Aber ich weiß, dass etwa der Spiegel oder die Zeit gefühlt jeden zweiten Satz in der Berichterstattung über den Ukrainekrieg mit "Diese Angaben konnten nicht unabhängig bestätigt werden" abschließen.
Außerdem sollten sie sich der Wahrheit verpflichtet fühlen und grundsätzlich immer beide Möglichkeiten offen darlegen: die Möglichkeit, dass der Beschuldigte unschuldig und die Möglichkeit, dass er schuldig ist.
Und dann sollten solche Meldungen eben auch extrem kurz gehalten werden - bis es ein Gerichtsurteil gibt; dann kann man und sollte man in aller Ausführlichkeit die Sache aufarbeiten - gerne bis in die letzten Details. Aber erst dann, wenn der Richterspruch gesprochen ist und nicht vorher. Davor muss es bei einer trockenen Meldung bleiben, bei der der Disclaimer mindestens so lang wie die Meldung selbst ist.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (28.07.2023 16:10).

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