[...]"Aktuelle Herausforderungen in Ostdeutschland" [...] "Innovationskraft stärken" und "Fachkräfte sichern".
im Zusammenhang mit, weiter unten:
[...] die ungünstigere Bevölkerungsentwicklung im Osten, die besondere Kleinteiligkeit der Wirtschaftsstruktur im Osten, der Mangel an Unternehmenszentralen, das Fehlen von großen Unternehmen, die dadurch mitbedingte geringen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung und die zunehmende Verknappung von Fachkräften.
Mmmhhh, mal erinnern... wie war das damals eigentlich? Anfang der Neunziger, ganz besonders 1990-1992, wurden urplötzlich MILLIONEN Ostdeutscher arbeitslos. Warum? Weil alle Betriebe im Osten vollkommen wertlos waren und Null- oder Minusproduktivität aufwiesen. Oh, halt. Als wertlos erklärt wurden, um dann für den "symbolischen Betrag von 1 DM" an wertvolle, wertschöpfende, "florierende" Unternehmen aus Westdeutschland verhökert werden zu können, unter dem treusorgenden Auge der "Treuhand".
Konkretes Beispiel gefällig? Gerne. Im Jahre der Währungsunion, 1990, befand ich mich im zweiten Jahr meiner Lehrausbildung zum Bäcker in einer ostdeutschen Großstadt. In einem ehemaligen Kombinat, einem Konglomerat verschiedener größerer Teilbetriebe also. In den Wochen vor und nach der Währungsunion musste ich in einem Betrieb arbeiten, der industriell Brote herstellte. Industriell heißt, es gab vier "Band-Öfen" auf jeweils drei Etagen, die im Drei-Schicht-System ununterbrochen liefen. Hinten Rohling rein, vorne fertiges Brot raus. Genaue Zahlen kenne ich nicht mehr und kannte ich auch damals nicht, aber zu Ostzeiten hat das Werk mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr als 75% des Bedarfs im Stadtgebiet (mehrere hunderttausend Einwohner) gedeckt, und selbst das war oft noch nicht ausreichend. Auf jeden Fall lief es immer unter Volllast, soweit es die Rahmenbedingungen zuließen (Ausfall durch veraltete, aus Kostengründen nicht gewartete Maschinen war häufig). Nach der Wiedervereinigung, aber noch unter der Ostmark, gab es einen leichten Rückgang, schätzungsweise auf 80-90% Auslastung.
Von einem Tag auf den anderen, nämlich dem Tag der Währungsunion, fiel die Auslastung auf 10 bis maximal 20% (und selbst davon wurden containerweise frische Brote weggeworfen, weil keiner sie abkaufen wollte - damals für im Osten "gehirngewaschene" Menschen wie mich beinahe ein Verbrechen übrigens, genießbare Nahrungsmittel wegzuwerfen). Von drei Schichten an 8 Öfen sank die Auslastung auf 2 Schichten an 2 Öfen. Und dort ist sie für lange Zeit geblieben - bis ein "Retter" kam und das Werk gekauft hat. Schön billig natürlich, wollte ja sonst niemand haben. Wer der Retter war? Derselbe, der sich vorher schon auf den Markt gedrängt hat mit - oh mein Gott! - geschnittenem Brot in Plastiktüten! Statt ollen frischgebackenen Brotlaiben. Und dessen Produkte mit der ersten D-Mark beinahe ausschließlich gekauft wurden. Nicht weil sie besser waren, sondern weil sie neu und anders und westlich und gut beworben und strategisch plaziert waren.
Dass eine riesige Menge Ostdeutscher genau so zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Untergang beigetragen hat, will ich nicht nur nicht bestreiten, sondern beklage es bis heute. Aber der Grund der De-Industrialisierung des Ostens war auch eine gezielte Strategie der westlichen Wirtschaft, die seit Mitte der Achtziger Jahren in der Absatzkrise steckte, plötzlich Millionen neue Kunden bekam und die eh schon schwache Konkurrenz entweder für 'nen Appel und 'n Ei aufkaufen konnte oder wie eine Zigarettenkippe mit dem Absatz austreten konnte (was, denke ich, auch die Gefühle der damals arbeitslos gewordenen ganz gut beschreibt).
Zurück zum Thema:
Die Zahl der Erwerbstätigen sei auf dem höchsten Stand seit 1992
Da in diesem Jahr vermutlich auch der Tiefststand erreicht wurde, oder im Jahr vorher, ist das nun wirklich keine große Kunst. Oder doch?:
Als positiv wird hervorgehoben, dass die Arbeitslosenquote in den Ostdeutschenländern in 20 Jahren um 4,7 Prozentpunkte gesunken sei.
Nein, nicht "pro Jahr", sondern "in 20 Jahren"! Das macht durchschnittlich pro Jahr eine Absenkung um 0,235%. Und das, obwohl viele Hunderttausende in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verschwunden und von dort aus in den Ruhestand gegangen sind, und bestimmt ebenso viele aus ihren Jobs in den "vorzeitigen Ruhestand" gedrängt wurden, oft schon mit 58 oder 59 Jahren. Ein Hauch von Ironie kommt auf, wenn man die Diskussionen um das Renteneintrittsalter aktuell betrachtet.
Als weiterer positiver Aspekt wird die vergleichsweise hohe Qualifikation angeführt. Während in Westdeutschland 29 Prozent der Erwerbstätigen einen Hochschulabschluss haben, sind es in Ostdeutschland 33 Prozent.
Hier wäre doch mal hilfreich zu erfragen, woher die ganzen Hochschulabsolventen stammen? In den Neunzigern wurde in beinahe allen noch verbliebenen Betrieben und in beinahe allen neuen Betrieben vom mittleren Management aufwärts vorrangig Personal aus den alten Bundesländern eingesetzt, anfangs gerne auch aus der dritten und vierten Reihe, Hauptsache Hochschulabschluss und nicht aus dem Osten. Der Trend hält bis heute an, wenn er auch schwächer geworden ist. In der Privatwirtschaft ebenso wie in staatlichen Behörden.
Auch der Anteil der Erwerbstätigen ohne Berufsausbildung sei mit sieben Prozent nur halb so hoch wie im Westen.
Das ist unglaublich leicht mit der geringeren Zahl an Einwohnern mit Migrationshintergund im Osten korrelierbar, oder nicht?
Um dieses zu kompensieren, legt der Bericht nahe, müssten die Bundesländer im Osten attraktiver werden, für Arbeitnehmer von außen und für größere Firmen und Unternehmen.
Nun, die Attraktion für größere Firmen und Unternehmen ging schon frühzeitig verloren. Einerseits durch die EU-Osterweiterung, die noch viel tiefere Löhne bei gleichzeitig viel weniger Rechten für Arbeitnehmer ermöglichte. Andererseits durch die Tatsache, dass es seit 1945, verstärkt aber seit 1989 eine Migrationsbewegung von Wirtschaftsflüchtlingen aus den ostdeutschen Gebieten in die westdeutschen Gebiete gibt. Warum, so würde sich jeder vernünftige Kaufmann fragen, soll ich Geld in eine unsichere Gegend investieren, wenn die Leute einfach zu mir kommen?
Mmmhh... gibt es hier etwa ein Muster? Hatte die innerdeutsche Migration etwa den selben Grund wie die heutige globale? Und sind die Reaktionen etwa die gleichen? Ich jedenfalls kann mich gut erinnern, dass viele "Wessis" auf zugezogene "Ossis" überhaupt nicht gut zu sprechen waren und teilweise bis heute nicht sind. Grund: völlig verschiedene "Kulturen" (Ideologien), religiöse Differenzen auch (Atheisten vs. Protestanten und Katholiken), und Abstiegsängste. Immerhin war die Sprache relativ ähnlich.
Bei den Protesten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wurde deutlich, dass die Grenzen zwischen bürgerlichen Protesten und rechtsextremistischen Agitationsformen zunehmend verschwimmen.
Jahresbericht der BundesregierungDas habe das Potenzial den gesellschaftlichen Frieden in Ostdeutschland zu gefährden, so der Bericht, der davon spricht, dass eine "lautstarke Minderheit" das Gesamtbild "dominiert und verzerrt".
Einerseits habe ich das Gefühl, dass hier das Pferd von hinten aufgezäumt wird, bzw. Ursache und Wirkung absichtlich vertauscht werden. Nicht die Proteste gefährden den gesellschaftlichen Frieden, sondern die Auslöser der Proteste. Die Proteste sind das Symptom. Auslöser beispielsweise Zuweisungen und Anordnungen von Flüchtlingsheimen in Gemeinden von ein paar Tausend Einwohnern, in denen die einzigen Ausländer vorher ein paar Russlanddeutsche, eine Thai-Masseuse und ein Pizzabäcker waren - selbst die schon argwöhnisch beäugt. Und selbst das muss nicht zwangsläufig nur mit Rassismus zu tun haben. Häufig ist es einfach nur Provinzialismus.
Jeder Städter, der auf ein Dorf gezogen ist um ein ruhigeres Leben zu haben weiß, dass er dort selbst in einem Jahrzehnt noch nicht eingewachsen sein wird, vielleicht sogar nie. Jetzt stellen wir uns mal 100 Städter vor, die ein kommunales Bauprojekt in einem Dorf realisieren wollen, sagen wir 100 Münchener bauen sich eine nette kleine Community in der Nähe von Bremerhaven. Oder 100 Berliner Hippies irgendwo im Schwarzwald. Werden die bald integriert sein, oder in einer Parallelgesellschaft leben? Werden sie Achtung, Respekt und Vertrauen erfahren, oder eher Misstrauen und Ablehnung? Und kann man dieses Wissen um Schwierigkeiten auf der lokalen Ebene wirklich nicht in politische Überlegungen einbeziehen?
Um mal kurz noch das "andererseits" anzureißen: Ganz vorne bei der Eroberung der ostdeutschen Provinzen waren von Anfang an die Rechten dabei. Ich kann mich sehr gut an Kampagnen der damaligen DVU und der "Republikaner" erinnern, finanziell gespeist von westdeutschen Reaktionären, Kriegsgewinnlern, "Heimatvertriebenen" oder deren Erben. Da es damals wie heute galt, das linke Erbe möglichst aus der Geschichte zu tilgen (womit sie bei vielen Ostdeutschen auf fruchtbaren Boden gestoßen sind), waren Judikative, Exekutive und ja, auch die Legislative lange Zeit auf dem rechten Auge blind und haben das andere Auge dann auch noch zugedrückt. Das erste Erschrecken kam zwar schnell, Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen (Solingen nicht zu vergessen!), war aber genauso schnell wieder vergessen oder wurde verdrängt. Das Tagesgeschäft ist immer wichtiger als die langfristige Perspektive, die nächste Wahl steht immer vor der Tür. Die Frage ist, ob es jetzt für ein Umdenken auf diesen Ebenen nicht schon zu spät ist.