Ernstgemeinte Frage. Ich zweifele zwar keine Sekunde lang am Klimawandel und auch nicht daran, dass er auf menschliche Aktivitäten zurückgeht, und ich will auch nicht darauf hinaus, dass die Menschen den Klimawandel als Nebenwirkung ihres Treibens allzu lange in Kauf genommen haben. Die Frage lautet, konkretisiert: Hatten die Menschen jemals die Gestaltungskraft, um den Klimawandel zu verhindern?
Das System, das den Klimawandel verursacht, heißt Kapitalismus, und es wurde nie erfunden, sondern geht auf einen historischen Zufall zurück. Mitte des 18. Jahrhunderts kamen englische Textilfabrikanten auf die Idee, menschliche Arbeitskraft durch Maschinen zu ersetzen, zunächst mit Wasserkraft, dann mit Dampfkraft. Nicht, weil sie den Kapitalismus in die Welt setzen wollten, sondern weil die Löhne in England vergleichsweise hoch waren und die Textilproduktion kaum noch rentabel war. Dieses im Grunde einfache Prinzip wurde rasch zum Erfolgsmodell: in Technik investieren, um die Produktion billiger und effizienter zu machen, also erheblich mehr zu geringen Kosten produzieren. Vorsprung durch (Investitionen in) Technik. So kam das Hamsterrad in Schwung, in dem wir bis heute leben: Produzieren auf Teufel komm raus, Konsumieren auf Teufel komm raus, dabei Rohstoffe verbraten und Energie verfeuern, als gäbe es unendlich viel davon. Im IT-Bereich konnten wir das alle gut beobachten, weil es so schnell ging: immer leistungsfähigere Prozessoren, immer mehr Speicher, immer mehr Auflösung, mehr von allem, schnelleres Internet, Fernsehen war gestern; mittlerweile ist der moderne digitale Mensch selber ein Produkt: er wird durchleuchtet von Kopf bis Fuß, um ihn gezielt zum Kauf immer neuerer Produkte zu verführen, von denen er nie wusste, dass er sie jemals brauchen würde.
Eigentlich haben wir genug. Wir sind auch gar nicht so gierig, wie Moralisten immer predigen. Aber Einkommen können in diesem dynamischen System nur erzeugt werden, wenn die Mühle weiterläuft. Es gibt kein Standby, nur weiter wachsen oder schrumpfen, eines von beidem. Da Schrumpfen in eine Abwärtsspirale führen würde, die man nicht würde kontrollieren können, wird weiterhin auf Wachstum gesetzt. Und Wachstum bedeutet den Verbrauch von mehr Rohstoffen und höhere Umweltbelastung.
Bei rechtem Lichte besehen befinden wir uns in der Situation von Goethes Zauberlehrling. Wir kommen aus der Nummer nicht mehr raus, ohne einen Zusammenbruch von biblischen Ausmaßen zu riskieren. Am höchsten wäre die Chance noch, wenn wir uns eingestehen würden, dass man nicht grün wachsen kann (alle Parteien mit Ausnahme der AfD - die stellt den Klimawandel in Abrede - haben das in ihren Programmen, weil es ein zu schönes Märchen ist, an das die Menschen gerne glauben).
Was mich wieder auf die Frage zurückbringt, inwiefern der Klimawandel menschengemacht ist. Der Kapitalismus wurde nicht erfunden, aber er hat sich als System eingedreht, als hochdynamisches, totales System. Ihn zu stoppen wäre der Zusammenbruch von allem. Er muss aber gestoppt werden, weil Wachstum und Umweltschutz zugleich nicht sein kann.