Erstaunlicherweise lesen sich die Kommentare mancher deutschen Offiziere in diesen Tagen sehr ausgeglichen. Da wird aufgelistet, welche Ziele Putin denn hätte und priorisieren könnte und auf der Grundlage der verschiedenen Antworten Szenarien angedacht. Dabei wird betont, dass keine der Antworten Gewissheiten hätten.
Mir geht auf die Nerven, wenn behauptet wird, die richtige Antwort zu kennen. Ohne Zweifel wurde vom Westen versäumt, eine Revision der Friedensarchitektur vor 2014 zu entwerfen, als noch darüber diskutiert wurde, inwiefern die Ukraine handelsmäßig sowohl in EU als auch in Russland und Nordwestasien eingebunden zu werden. Auch die westlichen Einflüsse auf die postsowjetischen Staaten waren durchaus kritikwürdig.
Auf der anderen Seite wird behauptet, diese Fehlentwicklungen und die NATO-Frage seien der Hauptgrund für Russlands Aggressivität. Der ganze völkisch-imperiale-panslawische Komplex, das Beharren auf dem Status-quo der russischen Konterrevolution wird ausgeblendet, Russland als bloßes Opfer dargestellt.
Wenn es so wäre, dass die potentielle NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, gegen die ja bekanntlich D, F, I und E waren und die absehbar gar nicht realisiert werden sollte, das Hauptmotiv für den russischen Angriffskrieg wären, dann könnte darüber sicher verhandelt werden. Mir ist klar, dass D und F, schon gar nicht die Mehrheit der EU-Staaten es für wert befinden, wegen der NATO-Mitgliedschaft eine derartige Destabilisierung Europas in Kauf zu nehmen. Darum ging es in den letzten Gesprächen von Scholz und Macron mit Putin vor dem 24.2. Falls es Moskau nur darum ginge, was soll dann sein fortgesetztes imperialistische Getöse? Erst diese Woche stellte Medjejew die Grenzen von Georgien und Kasachstan in Frage.
Ich kann Frau Wagenknecht und diejenigen, die glauben, man müsse nur verhandeln, und schon gibts Friede Freude Eierkuchen, nicht nachvollziehen. Sie verurteilt den Angriffskrieg, zugleich möchte sie, dass der Angriffskrieg erfolreich abgeschlossen wird? Sie will verhandeln, doch zugleich bedroht Russland die Souveränität und Intrigrität seiner Nachbarn im Westen und Südosten?
Zu Verhandlungen gehören immer zwei Parteien. Russland macht nicht den Eindruck verhandlungswillig zu sein. Warum ist das so? Das liegt sicher nicht an der Geschichte der Fehler des Westens. Das Regime von Putin fühlt sich unmittelbar bedroht: Belarus bröckelt von innen und auch Russland hat Mühe Stabilität aufrecht zu erhalten, besonders in einer postputinschen Welt, in der die Ukraine der EU zugewandt eine Verlockung darstellt, wie es bereist die BRD auf die Menschen in der DDR zeitigte. Der Konterrevolutionär Putin fürchtet Veränderung. Ein weiteres Motiv für seinen Angriffskrieg.
In dieser ganzen Gemengelage bedeuten Vorwürfe, die Grünen wären kriegsbegeistert, ein Ausdruck des 1. WK, als die Kriegsbegeisterung ein Motiv für den Krieg war, eine sehr verzerrte Auseinandersetzung. Die Grünen führen einen Krieg gegen Russland? Man selbst hat die Wahrheit gepachtet und wirft dem politischen Gegner vor, verschiedene Aspekte der Kriegsmotivation Russlands nicht wie man selbst unter den Teppich zu kehren. Mit dem Ergebnis, dass man die völkisch-imperialistische Evolutionsphobie eines Konterrevolutionären nicht nur ideell unterstützt, sondern ihm den Spielraum einräumt, die Weltordnung von Akzeptanz von Grenzen und Souveränität grundsätzlich abzuräumen. Man selbst ist fest davon überzeugt, den Frieden zu sichern, die Anderen hingegen sind bloße Kriegstreiber. Geht's noch? Meine Güte!
Das ist einerseits völlig bigott, weil wenn Trump das macht ist es megaböse und soll aufs Schärfste bekämpft werden. Zum anderen kann ich überhaupt nicht erkennen, was das mit emanzipatorischer und gerechter Politik zu tun hat. Vor allem, weil Wagenknecht ja betont, es ginge ihr nicht um Pazifismus, also Appeasement mit Hinblick auf sehr langfristigen Perspektiven. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man Frieden schaffen will, indem man die Souveränität und Grenzen von Staaten in Frage stellen lassen kann - und unter diesem Aspekt ist ja bereits die Souveränität von Belarus erheblich verletzt, wenn man die UN-Kriterien von Souveränität vor dem Hintergrund der pumpen Wahlfälschung eines versoffenen Lukarschenko abgleicht. Moskau alles zu geben, was es sich gewaltsam der faschistisch-panslawistischen Ideologie, der Ressentiments und des konterrevolutionären Status-quo wegen einverleibt, das führt zu keiner friedlichen Welt. Wie kommt ihr zu dieser selbstgerechten Einschätzung? Ich denke, das bedeutet permanenten Krieg, vielleicht mit zeitweisen Waffenstillständen. Eine solche Desolidarisierung mit den osteuropäischen EU-Staaten führt gleichzeitig zu weiteren europäischen Destabilisierungen, einen permanenten Krieg wird das zur Folge haben.
Was die gespaltene Linke betrifft, ich bin eher auf der Seite von Gregor Gysi. Sollte Moskau deeskalieren, kann man über Verhandlungen reden. Derzeit sind sie nicht möglich ohne die Hoffnung auf Frieden in einer souveränen Welt aufzugeben. Das liegt nicht an den Grünen, der EU, den USA. Es liegt alleine an Moskau.