hoppeligerHase schrieb am 21.08.2022 10:51:
chanscte schrieb am 20.08.2022 22:27:
hoppeligerHase schrieb am 20.08.2022 08:51:
Warum sollte Russland ein "failed state" sein. Welche Kriterien eines failed states treffen denn auf Russland zu?
https://de.wikipedia.org/wiki/Gescheiterter_Staat
In der modernen politikwissenschaftlichen Auffassung von Staatlichkeit muss ein Staat vor allem drei zentrale Funktionen für seine Bürger leisten: Sicherheit, Wohlfahrt und Legitimität/Rechtsstaatlichkeit. Dabei handelt es sich letztlich um Leistungen der Staatsgewalt.
Das ist die Vorstellung der hiesigen Politikwissenschaft, die ansonsten auch gerne mal Demokratie als Maßstab für andere Systeme anlegt und dann zu dem Urteil "undemokratisch" gelangt, so als wäre das ein Wert an sich.
Wenn ein Staat diese drei Funktionen nicht mehr in einer nennenswerten Weise erfüllt, so spricht die Politikwissenschaft von einem gescheiterten Staat.
Und wenn ein Staat nicht den Vorstellungen der Politikwissenschaft von gelungener Herrschaft entspricht, dann ... Wissenschaft ist das nicht. Man definiert einen Maßstab, der sich erstaunlicherweise aus der eigenen Herrschaftsform ableitet und legt den an andere Staaten an.
Schauprozesse, Giftmorde im Ausland, Verbot der Bezeichnung der militärischen Spezialoperation als Krieg, Rowdytum vs. Kunstfreiheit, etc. Also die Liste würde lang werden. Damit will ich ganz sicher nicht davon ablenken, daß es auch hier Probleme gibt.
Das alles trifft auch auf etliche Staaten zu, die nicht als "failed state" gelten. Ist Polen noch ein Rechtsstaat? Oder die USA, Saudi-Arabien und Katar sicher nicht. Die gelten aber allesamt nicht als "failed states".
Du hast vor allem die zweite Definition unterschlagen:
Die Völkerrechtslehre hingegen schaut weniger auf die Leistungen, die ein Staat als politische Güter erbringt, sondern auf die Stabilität der Staatsgewalt. Nach anerkannter Lehrmeinung liegt ein gescheiterter Staat deshalb immer dann vor, wenn die organisatorischen Strukturen der Staatsgewalt (Regierung, Behörden, staatliche Einrichtungen) weitgehend zerfallen und ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen.
Da geht es um die Stabilität des Staates, also um die Frage, ob die Staatsgewalt noch allgemein gilt und sich durchsetzt oder am Zerfallen ist. Letzteres trifft auf Russland sicher nicht zu.
Die Ukraine ist ein tendenziell zerfallender Staat, der ohne Hilfe des Westens schon längst zerfallen wäre. Es gibt Strukturen innerhalb des Staates, die weitestgehend unbehelligt von staatlichen Institutionen agieren können, bis hin dazu, dass man den Präsidenten mit dem Tod bedroht, falls der einen Friedensvertrag mit Russland unterzeichnet.
An dieser Stelle wiederholen Sie, was Sie schon mehrfach geäußert haben. Es hat keinen Sinn das Gespräch an dieser Stelle weiter zu führen. Jede Kritik an Rußland wird mit einem Verweis auf Taten anderer Staaten legitimiert. Wenn die katholische Kirche Hexenverbrennungen mit Kirchenrecht legitimiert, wäre es demnach völlig in Ordnung, wenn andere ihre Kritiker auch einfach auf einen Haufen Holz stellen und anzünden? Das ist dieselbe Argumentation. Man sollte schon noch genauer hinschauen, wie Gesetze in irgendwelche Gesetzbücher gelangen. Sie würden auch bestreiten, daß das rußische Volk von der eigenen Regierung unterdrückt und getäuscht wird, um eben die von Ihnen erwähnte Stabilität aufrecht zu erhalten. Wenn Sie das akzeptieren würden, würden Sie sofort darauf hinweisen, daß dies in anderen Staaten auch der Fall ist. Von mir aus kann in Rußland auch ein Gesetz erlassen werden, das die Bezeichnung der militärischen Spezialoperation in der Ukraine als Krieg unter Todesstrafe durch Steinigung oder Todesstrafe durch Verbrennung auf einem Scheiterhaufen stellt. Sie würden selbst dann noch argumentieren, daß es schließlich auch andere Staaten mit ähnlich kruden Gesetzen gibt. An dieser Stelle brauchen wir uns nicht mehr weiter zu unterhalten und ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft.