Rainer Zitelmann:
Aber ist einer moralisch besser als der andere, nur weil er weniger Handlungsmacht hat? Ist einer, der 1000 Euro Steuer hinterzieht, weil er eben nicht mehr hat, moralisch besser als derjenige, der 100.000 Euro hinterzieht? Unehrliche und auch skrupellose Menschen gibt es in allen Einkommens- und Vermögensklassen: bei Reichen ebenso wie bei Armen, in Villenvierteln wie in Slums.
Das ist so pauschal leider ein typisch konservatives Argument.
Ist es wenn jemand, der 10.000 Euro im Jahr an Einkommen zur Verfügung hat und nicht über Vermögen verfügt, 1000 Euro Steuern hinterzieht, von der moralischen Deliktbewertung nicht eher als "Mundraub" zu klassifizieren?
Bei jemandem, der über ein Millionenvermögen verfügt und Einkommen von mehr als einer Million fallen mir bei 100.000 Euro Hinterziehung kaum moralisch mildernde Umstände ein. Zumal er deutlich andere Gestaltungsspielräume und Zugriff auf eine exzellente Expertise hat.
Dennoch wird der "Geringverdiener" von der derzeitigen Rechtsprechung im Verhältnis regelmäßig härter und konsequenter zur Rechenschaft gezogen als der Vermögende, bei dem das eher noch als Kavaliersdelikt durchgeht oder der sich schlicht freikauft.
Die Aussage, es gäbe in allen Schichten skrupellose und unehrliche Menschen ist auch stumpf pauschal.
Ein Idiot, der ein Auto aufbricht um 5 Euro Parkgroschen zu erbeuten und dabei einen Schaden in Höhe von 350 Euro anrichtet ist ebenso verachtenswert wie skrupellos. Immerhin, sozial ist was Arbeit schafft. Strafmaß: Ein Jahr auf Bewährung.
Unternehmer, die vorsätzlich und bewußt etliche tausend Kunden um Beträge von einigen tausend Euro betrügen kommen mit ein paar Sozialstunden, einer Bewährungsstrafe davon oder gegen Zahlung von ein paar tausend Euro sogar frei. Aktuelles Teldafax-Urteil. Nun, immerhin hatten die Staats- und Rechtsanwälte eine Menge Arbeit.
Der Idiot hat für lange Zeit Schwierigkeiten, denn mit Bewährung/Vorstrafe wird er es schwer haben, seine Arbeitskraft - und was anderes hat er ja nicht - zu verkaufen.
Die Unternehmer machen erst einmal ein paar Wochen Urlaub auf Teneriffa, weil der ganze Stress und kreative Pause, um dann Investoren für das nächste "Ding" zu suchen. Mit Jahresgehältern um die 300-500T€ reicht das Polster noch eine Weile, natürlich mittlerweile alles im "safe harbour", offiziell ist man arm wie eine Kirchenmaus.
Gestaltungsspielräume.
Wie man das bewertet sei jedem selbst überlassen. Aber es zu simplifizieren und pauschal gleichzusetzen hat faktisch nichts mit der Realität zu tun.
Wenn der Rest des Buches ebenso realitätsfern ist, lohnt es sich wohl eher nicht.