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  • Stephan Geue

mehr als 1000 Beiträge seit 07.08.2011

Re: Unwort des Jahres: Waffenlieferung

Nur ist Russland noch viel abhängiger von seinem MIK im Verhältnis zum BIP.

Diese Abhängigkeit verstehe ich nicht. Tatsache ist, dass die russischen Militärausgaben im Verhältnis zum russischen BIP höher sind als in den USA. Ob sich grundlegend etwas daran ändert, wenn man berücksichtigt, wie viel wirtschaftliche Substanz im jeweiligen BIP enthalten ist (also alles Spekulative herausgerechnet), kann ich nicht beurteilen. Aber ich halte die Relation zum BIP auch für nur eingeschränkt brauchbar. So sind in Russland viele Energieträger zu Spottpreisen verfügbar, weil die Russen das Zeug ja kostenlos unter ihren Füßen liegen haben. Diese Reichtümer tragen also nur geringfügig zum BIP bei. Sie spielen im ganzen militärischen Unterhalt jedoch eine bedeutende Rolle, denn sonst läuft die Maschinerie nicht.

Öl&Gas, Waffen, Weizen, Bodenschätze… mehr kann Russland nicht und die beiden ersten Einnahmequellen sind massiv unter Druck!

Den Sputnik-Schock noch immer nicht überwunden? ;-) Ich höre schon Helmut Schmidt aus der Gruft raunen: Obervolta mit Atomraketen. Träum weiter.

Wir haben hier im Ort eine Fußgängerbrücke, ca. 50 m lang, über ein Gewässer, äußerlich unversehrt, begeh- und befahrbar. Die wird seit einem halben Jahr (!) saniert. Da sind also geballte deutsche Ingenieurkunst, ausgefuchstes deutsches Organisationstalent und überwältigender deutscher Wohlstand gebündelt am Werk, um korruptionsfrei, fern jeder Kommandowirtschaft und frei von Sanktionseingriffen ein infrastrukturelles Wunder etwas aufzufrischen. Ich muss wohl nicht weiter ausführen, womit auf russischem Territorium ich das gerade vergleiche.

Und was heißt schon "massiv unter Druck"? Dass damit jetzt mehr Einnahmen erzielt werden als je zuvor? Druck stelle ich mir irgendwie anders vor.

Es gibt wohl kaum eine bessere Werbung für amerikanische Waffen und kaum ein vernichtendere Demonstration der Unzulänglichkeiten russischer Technologie.

Das kann ich nicht beurteilen. Aber die Ukrainer stehen jedenfalls trotz der angeführten Behauptungen noch nicht kurz vor Moskau.

In Indien suchen sie schon Käufer in Afrika, die ihnen die T-72 und T-80 abnehmen!

Das kann ich nicht beurteilen, aber ich glaube, die Zahlen an den russischen Panzern geben das Erstinbetriebsetzungsjahr an, und dass ein zahlungskräftiger Kunde versucht, 42 bzw. 50 Jahre alte Technik abzustoßen, halte ich für nicht unvernünftig.

Da bricht mal eben so der grösste Kunde Russlands weg, so dass es schwer wird überhaupt die kritische Masse für zukünftige Entwicklungen zu erreichen.

Dass dieser Kunde wegbricht, kann ich nicht erkennen. Und was die kritische Masse angeht - die liefert der Krieg gerade.

Und die US Armee? Jetzt die Lager mit Waffen der 80er & 90er leer zu machen, sie der Ukraine zu geben und gleichzeitig die Lücken mit brandneuen Projekten zu füllen… Genial! Platz für neue Waffen, ohne völkerrechtswidrig ein Land zu zerbomben und dann für Jahre und Billionen zu besetzen… ein ganz neuer Ansatz!

Also, ganz neu ist der Ansatz der Stellvertreterkriege ja nun wahrhaftig nicht. Ich sage nur Korea und Vietnam. Allerdings waren die USA dort mit regulären Truppen ebenfalls engagiert und haben dementsprechend auch "reguläre Verluste" erlitten. Für die Ukraine werden die Leute diesmal formell aus den US-Truppen entlassen und ziehen nun als Söldner und "Militärberater" ins Feld, um den Russen keinen Grund zu geben, das Pentagon in Schutt und Asche zu legen.

Was die Rollkur mit Munitionsbeständen aus den 80er und 90er Jahren angeht - eigentlich sind die USA ausreichend in militärische Konflikte verwickelt, um fortlaufend ihre Altbestände verheizen zu können. Das Besondere an dieser Situation ist, dass es sich um keinen Luftkrieg handelt. Aus meiner Wahrnehmung dominierten bis vor Kurzem Artillerie und Panzergefechte das Geschehen. Das hatten die USA schon geraume Zeit nicht mehr (die Panzereinsätze im Irak trafen auf wenig Widerstand, sodass das Material weiterhin verfügbar blieb); da hat sich sicherlich einiges angesammelt. Nun hört man von der Klage, dass die Ukraine in zwei Wochen verheizt, was die USA in einem Jahr produziert, und angeblich könnte ausgerechnet der MIK seine Produktion nicht so schnell hochfahren (das halte ich allerdings für ein Stück weit russische Propaganda)...

"Genial" und "ohne völkerrechtswidrig" sind Vokabeln, die mir im Zusammenhang mit diesem Krieg nicht in den Sinn kämen, auf beiden Seiten nicht.

Und dabei beisst noch nicht mal ein einziger GI ins Gras, während in Russland über eine Million junger Männer tot, verwundet, gefangen oder auf der Flucht vor der Einberufung sind.

Wie gesagt: Bloß weil der GI seine reguläre Uniform auszieht, sich eine Sonnenbrille aufsetzt und bei Academi anheuert, bleibt er doch immer noch ein sterblicher Mensch. Und die "über eine Million" sind eine Legende, unbewiesen und unbeweisbar - denn welche Quelle wäre im Krieg schon glaubwürdig? In diesem Absatz steckt viel Wunschdenken, und davor sollte sich jeder (Möchtegern-)Stratege hüten, denn das sind beste Voraussetzungen für eine Niederlage.

Je länger dieser Krieg dauert, um so hoffnungsloser wird die wirtschaftliche und militärische Situation für die Russen, ...

Ich glaube, das hat die deutsche Propaganda zwischen 1941 und 1943 auch ziemlich oft wiederholt, und bedenkt man den damaligen Industrialisierungsstand Russlands im Vergleich zu dem von Deutschland, so mag das sogar durchaus plausibel gewesen sein. Da mag jetzt der Einwand kommen, dass es sich diesmal ja nicht um einen Krieg zwischen Deutschland und Russland, sondern zwischen den USA und Russland handelt und dass das Potenzial der USA bedeutend größer ist als das damalige Deutschlands. Das ist zwar richtig, aber erstens müssen die Amerikaner alles Material aus großer Entfernung heranschaffen, haben also beträchtliche logistische Aufwände. Und zweitens: Sollte die Situation hoffnungslos für Russland werden, so steht die Existenz Russlands auf dem Spiel, und für diesen Fall haben die Russen Hoffnungslosigkeit für die ganze Welt parat: die nukleare Option.

... die selbst um ihren Status als Regionalmacht fürchten müssen: Wenn es hart kommt, dann werden sie nicht mal mehr ihre zentral-asiatischen Republiken zusammen halten können und direkt vom Ukrainekonflikt in Bürgerkriege z.B. in Dagestan abrutschen.

Ach was, Status ... Welches Label Washington Moskau anheftet, das ist den Russen doch längst egal. Ihnen geht es um Souveränität, also uneingeschränkte Selbstbestimmung. Und was die Härte angeht: Gehen Sie mal auf Frontbesuch; es ist hart. Das kommt nicht erst noch.

Um ein solches Russland - eine Pipeline-lose Fossiltankstelle ohne Bodentruppen sondern lediglich veralteten Atomraketen - um diesen Gegener muss sich niemand mehr in der NATO sorgen.

Das genau ist meine Sorge, dass an maßgeblicher Stelle im militärischen Kommando der USA jemand solche idiotischen Einschätzungen vornimmt. Ein vermeintlich leichtes Ziel ist man nämlich eher anzugreifen geneigt als einen wehrhaften Gegner.

Stattdessen kann man sich jetzt ganz auf China konzentrieren… Im Pentagon sind sie Wladimir Wladimirowitsch sicher äusserst dankbar, dass er ihre strategischen Probleme halbiert, die NATO geeint und neue Kunden für High-Tech-Waffenexporte akquiriert hat.

Von solchen Verlautbarungen aus Washington habe ich noch nichts vernommen. Dort wird Putin weiterhin dämonisiert. Und was die Einigkeit der NATO angeht, so nenne ich nur die vier Länder Griechenland, Türkei, Schweden und Finnland, wobei die letzteren nach wie vor Wunschmitglieder sind. Die Hightech-Waffenexporte rufen gewiss Dankbarkeit hervor, nur wohl weniger im Pentagon als vielmehr bei Northrop Grumman Corp., Boeing, Raytheon Technologies und Lockheed Martin Corp., denn für das Pentagon und damit den US-Haushalt sind das Ausgaben, für die Letztgenannten dagegen Einnahmen. Aber da mögen Sie die Verfilzung zwischen beiden nennen, und da müsste ich Ihnen Recht geben.

Und da soll mal einer sagen, das amerikanische Zeitalter wäre vorbei!

Sagt das jemand? Ach ja, die russische Propaganda. Na ja, geschenkt. Aber wie heißt es so schön? Totgesagte leben länger, nicht wahr?

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