Während uns die Erderhitzung und andere lebensbedrohende Folgen des von Pro- und Anti-Kapitalisten verteidigten Wohlstandwachstum nahelegen, dass es auf Erden eine umfassendere Ganzheit gibt als den Einzelorganismus und den Menschen und seine Gesellschaften, versucht Creydt, mit einer beinahe fassungslos machenden Unbedarftheit, genau die mögliche Sachwaltung übergreifender, d.h. ganzheitlicher und komplexer Gefüge aus Objekt- und Wirkungszusammenhängen lächerlich zu machen.
Dabei übergeht er zwei zentrale Problematiken der Verwendung des Begriffs Ganzheitlichkeit und System überhaupt und in Bezug auf menschliche Gesellschaften im Besonderen:
1. Ist die Unterstellung der Bedeutung ganzheitlicher Phänomene nur eine Frage der Sicht und Forschungs-Methode oder vor allem auch eine Frage der Verfassung des Gegenstandes selbst? Sind z.B. Ökosysteme eigenständige Ganzheiten in der Realität tatsächlich und welche Kriterien bzw. spezifischen Leistungen lassen sich dafür angeben, oder sind sie nur, wie im übrigen die marxistische Sozialsehnsucht vielleicht auch, nur eine zivilisierte Ausgabe göttlicher Allmacht und Vorsorge?
Wie die Erderhitzung zeigt, können wir es uns nicht mehr aussuchen, ob wir die zerstörerischen Folgen des Wirtschaftswachstums für die lokalen Ökosysteme bis hin zur globalen Biosphäre endlich zur Kenntnis nehmen und mit geeignetem Handeln begegnen!
Nur Darwinisten, für die der Überlebenskampf inmitten einer chaotisch aufgefassten Natur immer auch die menschliche Realität bestimmt, Wirtschaftsliberale und Marxisten, für die es die Natur durch Technik zu beherrschen gilt, also 90 % der deutschen Bevölkerung, einschließlich Creydt, sind immer noch der Meinung, dass der Mensch ein besonderes Vorrecht zum Verbrauch der Erde hat und dass er also „Ganzheitlichkeit“ als Wohlfühlbegriff nicht benötigt, da er doch sein Wohlgefühl aus Macht über die Natur, luxuriöse Lebensweise und sichere Arbeitsplätze bezieht, auch wenn damit fortwährend Natur zerstört und der Erde einheizt.
Natürlich kann sich der Mensch am Ende (der guten Zeit) nicht aussuchen, ob er Teil eines größeren Ganzen ist oder diesem mit einem ganzen Arsenal an Instrumenten gegenübersteht und gewachsen sein wird: Am Ende ist er – als Betroffener und zu alternativer Lebensweise Fähiger - Teil des Ganzen und Ganzheitlichkeit keine Ideologie!
2. Ist es gerechtfertigt zu behaupten, dass Gesellschaften strukturell genauso funktionieren wie Organismen, also lebende Systeme?
Nur jemand wie Luhmann, der im Gefolge von Bertalanffy die Resultate der Aufklärung zurückdrängen und vergessen machen will, kann überhaupt den Gedanken fassen, dass Gesellschaften wie ein lebender Körper hierachisch – gesteuert über eine Zentrale – aufgebaut sind. Hintergrund der Organismus-Analogie menschlicher Gesellschaften ist die von Creydt unterschlagene Annahme, dass der Mensch über Symbolverstehen, Sprache einen Überlebensvorteil erlangt hatte und dass sich diese zweite Natur des Menschen gewissermaßen mechanisch im Ausleseprozess über seinem Kopf als Lebensvoraussetzung etabliert hat. Entsprechend wird der Mensch dann bei Gehlen zum „Mängelwesen“ und bei Luhmann zum „kognitiv Überforderten“ herabgekanzelt.
Tatsächlich sind moderne Gesellschaften als Nationen und Demokratien durch die Befreiung aus der persönlichen Knechtschaft von Seiten der Grundherren entstanden, die viele tausende Jahre lang die Geschichte bestimmten. Grundherren waren die ersten Subjekte der Geschichte, aber eben nur sie. Mit der Aufklärung und dem mündigen eigenverantwortliche Menschen wurden alle zu mehr oder weniger Subjekten, aber jedenfalls zu Subjekten.
Also waren Gesellschaften noch nie Organismen ähnlich und sie sind es bis heute erst recht nicht. In Demokratien sind politische Systeme an die Interessen und Bedürfnisse ihrer Mitglieder, den Menschen, zurückgebunden.
Ähnlich funktionieren im übrigen auch Ökosysteme allein durch die symbiotische Entfaltung des Lebens zum wechselseitigen Vorteil für Alle ohne zentrales Steuerzentrum. Auch Gesellschaften sind keine Körper mit naturbedingt vorgegebenen Gehirnen (Transhumanisten?) und Steuerzentren mit übergeordnetem Status. Indem Luhmann den Menschen zur Umwelt seines Gesellschaftssystems und die Subsysteme Bildung, Soziales, Militär usw. und sogar einschließlich Politik zu den um Einfluss konkurrierenden entscheidenden Strukturelementen seiner Systemkonzeption von Gesellschaft erklärt, ist Luhmanns Systemtheorie menschlicher Gesellschaften vollkommen antidemokratisch und potentiell präfaschistisch weil totalitär und um des Systemerhaltes (für wen?) gegen die Menschen gerichtet.
Reale Ganzheiten gibt es mehrere und sie zu unterscheiden hätte man von Creydt eigentlich erwarten dürfen:
Ganzheiten gibt es in der Natur zunächst als Organismen bzw. Lebewesen mit einer bis heute völlig unbekannten Herkunft. Bereits Schrödinger beschrieb diese Besonderheit mit der sog. „a-periodischen Stellung der Atome“ auf dem Erbgut. Bis heute ist es nicht gelungen Leben im Labor künstlich zu erzeugen. Auch die Photosynthese und der Mechanismus der roten Blutplättchen zur Sauerstoffaufnahmen können bis heute nicht nachgemacht werden. Der Organismus ist also in seinem wirklichen Ursprung noch weitgehend unbekannt, auch wenn das Zusammenspiel seiner Teile hochgradig erforscht ist und nahelegt, dass seine Existenz durch drei Komponenten bestimmt ist: Durch die Besonderheit des Erbgutes, durch eine gewissen Steuerzentrale (ZNS u.a.) im aktuellen Leben und durch eine Umwelt, die ihm sein Leben ermöglicht (meistens wird das im organismischen Modell vergessen).
Relativ neu ist die Kenntnis, dass Menschen ohne ihr Mikrobiom im Körper, also die Kooperation mit Bakterien nicht leben können. Welche Ganzheit hier vorliegt und ob es eine zentrale Steuerung gibt ist völlig unklar.
Darüberhinaus gibt es Ganzheiten in der Natur als Bottom-Up-Lebensgemeinschaften wie z.B. die Wälder, in denen die Bäume durch Photosynthese Energie und folglich Stoffe produzieren, die sie den Pilzen, Bakterien und vielen anderen Lebewesen im Boden zur Entfaltung von deren Leben anbieten, womit diese sich wiederum durch Lieferung besonderer Stoffe für die Pflanze kenntlich erweisen. Auf diese Weise der symbiotischen, wechselseitigen Kooperation entsteht der Wald als hochproduktives System, das nicht nur ungemein viel Biomasse erzeugt, sondern Sauerstoff und über die Verdunstung Regen und damit Feuchtigkeit und Kühlung in der Gegend und darüber hinaus. Das gemäßigte Klima könnte äußeres und höchstes Resultat die Bottom-up-Kooperation von Ökosystemen auf unterschiedlichen Ebenen (Emergenz) gewesen sein, die von zwei Seiten zunichte gemacht wurde: Durch die Zerstörung der Ökosysteme weltweit und durch freigesetzte Treibhausgase aus der Verbrennung fossilierter Biomasse.
Menschliche Gesellschaften haben immer und seit der Aufklärung auf breiter Front größte Gemeinsamkeiten mit Bottom-Up-Lebensgemeinschaften, in denen eine höhere Verantwortung nur auf Zeit gegeben ist und immer nur in Bezug auf die Menschen als Mitglieder dieser Gemeinschaften.
Luhmanns Systemtheorie verneint diese Verantwortung und ist dadurch absolut nicht nur antidemokratisch sondern auch gegen die Aufklärung und die von ihr induzierten Menschenrechte und Fortschritte der Wissenschaften im Ganzheitsdenken (A.v.Humboldt) gerichtet. Wie diese Art von Systemtheorie für menschliche Gesellschaften in einer angeblich aufgeklärten Wissenschaft Akzeptanz finden konnte, zumal als anscheinend über alle historischen Zweifel erhabene Theorie, erscheint grotesk, jedoch auch entlarvend hinsichtlich des Schoßes, der ganz offenbar immer noch fruchtbar ist.