Olle Knolle schrieb am 26.07.2022 13:35:
Sie haben sich nicht aus Ihrer Blase hinausbegeben. Sie haben lediglich aus Ihrer Blase heraus, kurz den Blick nach außen gerichtet.
Ich komme aber nicht umhin, der aktuellen Situation um die Gasversorgung eine gewisse Irrationalität zu bescheinigen und diese wird meines Wissens nach auch von anderen Menschen gesehen. Es hilft schließlich weder den Ukrainern noch uns, wenn wir unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft ruinieren.
Selbst wenn die Ukraine den Krieg gewinnen sollte und Mitglied der NATO und der EU wird, wird sie auf erhebliche EU-Hilfen angewiesen sein - ganz abgesehen von dem riesigen Berg an Schulden, der sich durch die US-Waffenlieferungen nach dem Lend-Lease-Prinzip angehäuft hat.
Zur Zeit gehört Deutschland mit einigen anderen Staaten zu den größten Nettozahlern in der EU. Wenn es aber zum Schlimmsten kommt und diesen Winter oder nächstes Jahr die Gasversorgung zusammenbricht oder quasi unbezahlbar wird, wer wird dann die EU-Leistungen für die Ukraine, die baltischen Staaten oder Polen finanzieren?
Trotzdem sind es genau diese Staaten, die am heftigsten darauf dringen, dass Deutschland kein Gas mehr aus Russland bezieht und sich damit in den Ruin treibt. Das ist definitiv eine Form von Doppeldenk und geistigem Spagat, der seinesgleichen sucht.
Ich glaube daher die einzigen, die wirklich in ihrer eigenen Blase leben sind Politiker und ein Großteil der Journalisten. Aber genau diese Situation ist die gefährlichste von allen, da sie verhindert, dass sich "einfache Leute" mittels Diskussionen und frei von ideologischem Ballast auf einen gemeinsamen Nenner verständigen.
In Humankind zeigt Rutger Bregman die herzzerreißende Konsequenz der Distanz zwischen den führenden Politikern und dem Leben der übrigen Menschen, und dass dies das größte Problem ist. Er beendet sein Buch mit einem Blick auf den Waffenstillstand am Weihnachtstag 1914 zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Mehr als 100,000 Soldaten legten ihre Waffen an der Front nieder, um miteinander Fußball zu spielen, Geschichten, Fotos, Essen und Getränke auszutauschen. Aber es blieb nicht nur bei den Weihnachtstagen, sondern dauerte mancherorts sogar mehrere Wochen an, und viele Soldaten erinnerten sich an diesen Tag als den Höhepunkt ihres Lebens. Es hätte leicht zu einem regelrechten Frieden kommen können, da Soldaten von beiden Seiten nicht bereit waren, den Krieg wieder aufzunehmen. Nur die Hartnäckigkeit der Generäle hinter den Linien, die mit Propaganda Hass schürten und Gehorsam einforderten, indem sie befahlen, jeden wegen "freundlicher Gesten" gegenüber dem Feind vor ein Kriegsgericht zu stellen, konnte den Krieg wieder in Gang bringen. Die Distanz dieser Anführer zum gemeinen Volk war der entscheidende Faktor.
Quelle: https://www.weforum.org/agenda/2020/08/building-blocks-of-the-great-reset/