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  • dazk

mehr als 1000 Beiträge seit 10.03.2001

Überwachungswahn in der Politikerkaste

Mir sagt der Artikel eigentlich nichts neues. Ich konnte dieses
Phänomen gut in meiner eigenen Familie beobachten.

Ich bin in einem äusseren Wohnstadtteil einer Großstadt aufgewachsen.
Mit wenigen Ausnahmen sind für meine Eltern alle Stadtteile
gefährlich. Vor allem der öffentliche Personennahverkehr ist abends
oder nachts für sie  Gefahrenherd schlechthin. Allerdings benutzen
meine Eltern eigentlich immer das Auto. Von "da draussen" ist der
ÖPNV auch nicht wirklich gut nutzbar. Sie kennen es nicht und haben
Angst davor. Mittlerweile habe ich schon in einigen Stadtteilen
selbst gewohnt. Das Bild meiner Eltern musste ich revidieren. Es gibt
allerdings Stadtteile oder Gegenden, in denen ich mich nachts immer
noch nicht gerne allein aufhalten würde. Allerdings sind große Teile
der Stadt bei mir eher grün, bei meinen Eltern eher knallrot.

Dennoch ist der Artikel ein Augenöffner und er sollte Pflichtlektüre
für unsere leider oft weltfremden Politiker werden, da er durchaus
zum Denken anregt. Mit ihrem Überwachungswahn machen sie langfristig
mehr kaputt, als dass sie helfen. Mir zumindest erschließt sich auch
der Sinn von Überwachung im öffentlichen Raum nicht. Was genau
bringen denn die Kameras? Können sie etwa verhindern, dass man von
Kaputzenpulliträgern überfallen wird? Können die Kamerabilder diese
Kaputzenpulliträger etwa besser überführen? In beiden Fällen ein
klares Nein. Da hat höhere Polizeipräsenz oder ggf. auch Präsenz von
privaten Sicherheitsdiensten, wie man sie oft in Bahnen und
Haltestellen sieht, schon einen deutlich größeren Effekt. Allerdings
kostet das im Gegensatz zur Schmalspursicherheitslösung durch
Überwachung Geld. Interessant ist, dass genau die Politiker, die sich
über vermeindliche Unsicherheit ereifern aber meist nicht viel Geld
für den Abbau des angeblichen Missstands ausgeben wollen.

Es wird Zeit, dass dem Überwachungswahn der Politiker Einhalt geboten
wird. Die aktuell auf breiter Front geführte Debatte über Sicherheit
führt eben nicht dazu, dass es sicherer wird, sondern ausschließlich
langsam aber stetig dazu, dass unsere Bürgerrechte durch die wahllose
Überwachung eingeschränkt werden.

In diesem Zusammenhang bin ich auch froh, wenn die Fußball-WM endlich
zu Ende ist. Immerhin bietet sie unseren paranoiden Politikern neben
dem quasi nonexistenten Terrorismus eine weitere medienwirksame und
oberflächlich schlüssige Begründung für weitere Überwachung.

"Quasi nonexistent" habe ich natürlich nicht geschrieben, um die
Opfer von 9/11 oder Madrid und London zu verhöhnen. Ich habe es
geschrieben, weil die Anzahl Toter und Verletzter durch andere
Faktoren wie Krankheit oder Straßenverkehr um viele Größenordnungen
höher liegt, als die durch Terrorismus. So tragisch die Anschläge für
die Betroffenen auch waren, so viel Größer ist meiner Meinung nach
der gesellschaftliche Schaden durch den auf die Anschläge folgende
Sicherheits- und Überwachungswahn der Politik. Ich gehe sogar so
weit, dass ich behaupte, dass wir trotz Vorratsdatenspeicherung und
den anderen neu eingeführten Überwachungsmaßnahmen weltweit nicht
besser vor Terrorismus geschützt sind als vorher. Höchstens die
Aufklärung wird leichter, allerdings muss man sich die Frage stellen,
was das noch bringen soll, wenn wie bei 9/11 die Attentäter mit in
den Flugzeigen saßen, die sie in die Gebäude gelenkt haben. 
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