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  • Emrymer

mehr als 1000 Beiträge seit 28.08.2020

Eventuell ein Denkfehler

Zunächst einmal: interessante Demokratie-Definitionen, die werde ich mal im Kopf behalten :-) .

Aber an einer Stelle könnte sich doch noch ein Denkfehler eingeschlichen haben:

Aber nehmen wir also mal an, was dann gern als Einwand gegen dieses Kriterium gebracht wird, dass die Parteien und die von ihnen für die Spitzenämter in der herrschenden Hierarchie aufgestellten Personen zwar eine eigene Agenda vertreten, aber diese sich – mehr oder weniger zufällig – mit den Zielen deckt, die zum Wohl des Volkes sind.
Dies wurde inzwischen auch wissenschaftlich widerlegt (ich weiß bisher nur von entsprechenden Studien in den USA und in Deutschland, ich suche sie aber nicht raus, weil Du sie sowieso nicht lesen würdest und nicht verstehen könntest, selbst wenn Du es "wölltest"): Egal, welche Partei oder Parteienkoalition in den letzten Jahrzehnten an der Macht war: IMMER ist deren Politik nur zum Vorteil der obersten 10% gewesen.

Den Denkfehler sehe ich in der impliziten Annahme, daß Ziele auch erreicht werden.
Wenn man davon ausgeht, daß dem Erreichen von Zielen stets relevante Widerstände im Weg sind, relativiert sich möglicherweise die Frage nach der intrinsischen Motivation der "aufgestellten Personen".

Daß immer die reichsten (und in unserem Umfeld damit auch "oberen") x% am meisten profitieren, liegt im System. Sie haben die Mittel (seien es materielle, seien es Beziehungen), um sowohl aus stabilen Verhältnissen wie aus Veränderungen Nutzen zu schlagen. Für wie viele verschiedene Probleme schließlich kann man sich allein schon materiell vorbereiten, wenn man 3 Vorratskammern, 2 Lagerkeller und einen geräumigen Dachboden hat? Und auf wie viele, wenn man in etwa 3 Schränke füllen kann?
Wessen PKW steht vor Hitze, Kälte, Nässe und Mardern wohlgeschützt in einem eigenen kleinen Raum, und wessen steht an der Laterne - und wird entsprechend mehr (kostspielige?) Pflege brauchen?
Es werden immer die Reichsten reicher werden, weil sie dafür vorsorgen können, daß sie entweder profitieren oder zumindest nur marginal verlieren.
Die Ärmeren können nicht profitieren, weil ihnen weder das Geld zur Vorbereitung zur Verfügung steht noch der Platz, um sich für eine Vielzahl möglicher Situationen zu bevorraten. Oft haben sie schon Schwierigkeiten, ähnlich gute Situationen zum Schutz ihres momentan vorhandenen Eigentums zu schaffen, wie es für Wohlhabende selbstverständlich ist.

Insofern haben wir ein in unserer Umwelt eine regelrechte Allgemeingültigkeit des Matthäus-Prinzips:

Wer hat, dem wird gegeben. Wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.

Ich kann also den "aufgestellten Personen" ohne Schwierigkeiten die besten Absichten unterstellen. Sie müssen gar nicht darauf hinarbeiten, daß es immer nur den Reichen besser geht. Sie müssen gar nicht bestechlich (oder gar de facto bestochen) sein. Es reicht, daß sie gegen das Prinzip nicht ankommen, daß Reiche alle Möglichkeiten haben, weiter reicher zu werden, und Arme gar nicht erst die nötigen Mittel haben, um - selbst beim besten Willen - an ihrer Situation nachhaltig etwas zu ändern.

Das ist soweit aber fast völlig unabhängig von jedem politischen Überbau, weil nicht die nominellen Regeln, sondern ausschließlich die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten (materieller und sozialer Natur) bestimmend sind. Lediglich eine Politik, die die Möglichkeiten "umverteilte", würde relevanten Einfluß darauf nehmen - und das dann unabhängig davon, ob es ein "benevolenter Tyrann", eine Riege demokratischer Politiker, ein Rätesystem, ein matriarchaler Rat oder was auch immer wäre.

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