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  • KenGuru

185 Beiträge seit 03.11.2016

Qualia als Denkschablonen

Jeder, der schon mal im Rahmen von Bildung eine völlig neue Sichtweise auf etwas erlangt hat, weiß, wie es ist, plötzlich Dinge ganz klar zu sehen, die einem vorher gar nicht aufgefallen sind. Spätestens, wenn man tiefes Expertenwissen hat, dann erlebt man die Muster, nach denen man seine eigene Wahrnehmung ordnet, als genauso natürlich und dinglich wie Farben oder Geräusche. So gesehen ist es durchaus denkmöglich, dass jemand, der keinen Begriff von Farben hat, diese gar nicht wahrnimmt, obwohl sein Wahrnehmungsapparat dies erlauben würde.

Ein einfaches Beispiel macht das klar: einen Baum nehmen wir auch nicht Zweig für Zweig und Blatt für Blatt wahr und wir beschreiben ihn auch nicht so. Wir sehen das ganze Objekt und erkennen es einfach als Baum. Hierbei abstrahieren wir von vielen sehr unterschiedlichen individuellen Bäumen. Das tun wir jedoch so unbewusst, dass wir die Wahrnehmung "Baum" als sehr unmittelbar erleben. Der einzige Unterschied zu den Qualia ist, dass wir beim Baum wenigstens noch eine vage Vorstellung davon haben, aus welchen Einzelwahrnehmungen sich das Konzept "Baum" zusammen setzt. Beim Konzept "Ball" ist diese Vorstellung zum Beispiel etwas weniger vage - da reicht schon, dass jeder Punkt der Oberfläche gleich weit vom Mittelpunkt entfernt ist.

Wenn man darauf besteht, dass Farbwahrnehmung oder Geräuschwahrnehmung etwas anderes ist als Formwahrnehmung oder Konzeptwahrnehmung, dann kann man wiederum behavioristisch argumentieren, dass jedes kommunikationsfähige Wesen, das Farben oder Geräusche verarbeiten kann und Begriffe dafür hat, behaupten wird, es nehme diese Dinge phänomenal wahr und eben nicht als physikalische Einzelsignale. Dies wird das Wesen unabhängig davon machen, ob sein Verarbeitungsapparat nun ein biologisches Gehirn ist oder eine komplexe Maschine auf Siliziumbasis. Oder eben etwas ganz anderes. Man kann nun argumentieren: wenn ein Wesen über Farben und Geräusche sprechen kann und diese auch korrekt identifiziert, dann *muss* es dafür eine interne Repräsentation haben, egal wie diese nun aussieht. Qualia sind dan nur noch das, worüber wir reden, wenn wir unsere interne Repräsentation reflektieren (die notwendigerweise existieren muss).

Man beachte: selbst eine künstliche Intelligenz, die auf einem Computer implementiert ist, wird behaupten, es nehme die Welt nicht in Einsen und Nullen wahr. Das liegt allein schon daran, dass Programme gar nicht aus Nullen und Einsen bestehen, sondern aus komplexen Handlungsanweisungen, die nur hinterher vom Compiler in Nullen und Einsen zerlegt werden. Es handelt sich semantisch schlicht um verschiedene Hierarchie-Ebenen. Und genauso wenig, wie ein Computerprogramm aus Nullen und Einsen besteht, kann man eine künstliche Intelligenz oder ihre Wahrnehmung auf nullen und einsen reduzieren. Für menschliche Intelligenz gilt das erst recht. Wir existieren zwar in einem biologischen Substrat, aber wir *sind* nicht dieses biologische Substrat.

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