...der zur Korrektur der Fragestellungen von Hrn.Lehmann benötigt wird. In dem andern Diskussionsthread drüben "Hat Software intentionale Prozesse?" sind diese zusätzlichen Hinweise nicht aufgetaucht, daher versuche ich das hier kurz nachzuholen.
Herr Lehmann, Sie sind sich meiner Meinung nach nicht im klaren über die hochkomplexen Voraussetzungen für die (auch nur hypothetische) Zuschreibbarkeit mentaler Prädikate ("seelische Prozesse, Zustände, Entitäten, Dispositionen benennender" - solche, die man sinnvoll nur Personen zuschreiben kann).
Diese Zuschreibungsbedingungen schliessen nicht nur eine nirgendwo sonst vorhandene Asymmetrie von Äusserungen ein, die dasselbe Seelische derselben Person zuschreiben (angefangen bei der Person selbst, die es von sich "bekundet"), und von der bisher noch nicht die Rede war.
Sondern vor allem implizieren sie die Unterstellung des Vorhandenseins einer Masse hochkomplexer Dispositionen, deren Bestehen mit-behauptet (oder zugeschrieben wird) - Dispositionen, die realisiert werden müssen, wenn etwa eine anscheinend glaubhaft bekundete Absicht nicht ausgeführt wird - weil sie garnicht "ernsthaft" bestand? weil man es nicht KANN? weil man im allgemeinen oder die betreffende Person im speziellen es nicht wirklich wollen kann (sie mutet sich zB zuviel zu)? Welche Deutung wir in diesem Fall wählen, hängt davon ab, wie jemand im nachhinein mit dem Fragwürdig-Werden seiner Bekundung umgeht.
Die Person selbst - zahllose Erörterungen Wittgensteins in den Philosophischen Untersuchungen und auch sonst (ua. unter dem Namen "Privatsprachargument") kreisen darum - ist nicht "zuverlässiger" oder "privilegiert", was die Zuschreibung von "Ernsthaftigkeit" und "Berechtigtheit der Selbstzuschreibung der Absicht zum Zeitpunkt der Bekundung" angeht: "Nur ich kann wissen, ob/dass ich die Absicht (nicht, nicht wirklich) hatte!" - Aus dem Mund des Selbst-Zuschreibers ist und bleibt dies nur eine Beteuerung. Zahllose Verhör-Szenen in Krimis legen davon Zeugnis ab: Die Korrektur einer Erstaussage unter Zusatz dieser Beteuerung ist nicht unbedingt glaubwürdiger
.
In vielen (wenn auch nicht allen) Fällen beruht Glaubwürdigkeit (Ernsthaftigkeit, damit auch ihre "Ernst-zu-Nehmendheit") einer Absichtsbekundung darauf, dass die Absicht auszuführen im nachvollziehbar starken Interesse des Sprechers liegt oder lag (er hat oder hatte "ein Motiv"). Wir brauchen dann ein starkes, zum Zeitpunkt der Äusserung nicht offensichtliches Gegenmotiv, das entweder uns nicht bekannt war, oder auch.dem Sprecher nicht "bewusst" (uns hingegen womöglich schon: JETZT sagt er es noch, aber wenn er sich dann dran erinnert, wie er sich damals gefühlt hat, wird er Zweifel bekommen...)
Herr Lehmann glaubt, eine solche Gemengelage neurophysiologisch entwirren zu können? Da hatte ich schon im andern thread den aus meiner Sicht entscheidenden Einwand genannt: Die Neurophysiologie mag komplette Aussagen darüber liefern, was das betreffende Individuum zu einem gegebnen Augenblick disponiert war zu tun und/oder zu sagen; die Frage ist bloss, als was das zu deuten ist! Etwa als... "Sich-selbst-Täuschen in dem Moment"? Als "Ausdruck allzu grossen Selbstvertrauens"? Die (Alltags)Psychologie ist voll von Beispielen, wo jemand sich Absichten zuschreibt, und von aussen bezweifelt werden kann, ob das ernstzunehmen (durchzuhalten, so wie beschrieben auszuführen) ist - und wenn, ob aus den von der Person ausgeführten Gründen.
Es gibt da so etwas wie ein "scharfes" Bild der Motive und Persönlichkeit einer Person, sofern die gradlinig, im Rahmen ihres Wissens und ihrer (halbwegs zuverlässigen) physischen Spielräume, (Versuchs)Pläne entwickelt, und aus der Erfahrung mit deren Ausführung "nachvollziehbare" Konsequenzen zieht. Und das ist eingebettet in einen "Unschärfe-Rand", wo es immer schwerer wird, "wohlwollende" oder "psychologisierende" ("in Wirklichkeit ist diesunddies Motiv massgeblich") Deutungen zu finden für das, was uns gesagt und dabei getan wird; die Zurechnungsfähigkeit, Vernünftigkeit, Nachvollziehbarkeit (oder auch zB Korrigierbarkeit) des Verhaltens schwindet, auf verschiedene Weisen: bizarre Episoden sind immer wieder eingelagert in "so gerade eben noch" nachvollziehbare Perioden, oder: wir sehen "unmotivierte Wechsel" ("stimmungs-bedingt?") zwischen in sich halbwegs konsistenten Einstellungen, oder das Ausgeführte offenbart eine klare Tendenz, die aber nicht im geringsten zum Bekundeten und womöglich nachvollziehbar Geäusserten der Person passen... uvam an "pathologischem" Entgleisen. Wie wir hier deuten, hängt weder im Fall des Manifest-Werdens von "inneren" Dispositionen, noch im Falle hypothetisch per "neurophysiologischer Datenerhebung" erschlossenen Materials vonBestehen oder Nichtbestehen einer instantanen, umschriebenen Entität namens "die Absicht" (deren "Haben" "innerlich von dem, der sie hat, so erlebt wird") ab. Was diese Person äussert oder zu äussern disponiert ist, ist nicht der Bericht eines vorgeschobenen Beobachters, eine Art Mauerschau, hinsichtlich irgend wahrnehmbarer "objektiv in der Person vorhandener" Motivlagen; es ist vielmehr MATERIAL, neben dem manifesten Verhalten, das Aussenstehenden (und der Person selbst, im Rückblick; der Rückblick kann schon einen Moment später beginnen) den Gegenstand liefert für Deutungen - Deutungen, nebenbei, die IHRERSEITS Bekundungen darstellen, wie man nun mit dem zu deutenden Verhaltens- und Äusserungsmaterial nun zu verfahren gedenkt. Und das... kann ebenso (un)glaubhaft (unehrlich, gestört) sein, wie das Gedeutete selbst... (Wir reagieren im Sinne unserer Deutungen; hoffentlich... halbwegs konsistent...)
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (08.06.2017 16:04).