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  • Mrothyr

mehr als 1000 Beiträge seit 01.06.2001

Interessante Begrifflichkeiten

a0033796 schrieb am 20. März 2009 10:50

> Und wenn wir hinzunehmen, daß aus der Sicht der Evolution der Mensch
> gar nicht für so komplexe Strukturen geschaffen ist, sie zu
> überblicken, dann kann ich auch nicht nachvollziehen, wie einige in
> so vielen Aufsichtsräten sitzen können und vorgeben das alles zu
> überblicken.

Ach, nachvollziehen kann ich das. Deine Begriffswahl ist interessant
- sie geben es vor. Sie selbst glauben ja nicht mal, daß sie den
Überblick haben. Sie wissen, daß es Netzwerken ist - auf der Ebene
ihrer ökonomischen Macht. Sie überblicken ihr Umfeld und sorgen
dafür, daß ihre Interessen gewahrt werden, bilden damit aber wiederum
eine Rückkopplung auf die mit ihnen interagierenden anderen
Individuen. Das System ist wahrscheinlich stärker emergent, als wir
es unterstellen - ich glaub, wir WOLLEN eine bewußte Steuerung sehen,
damit wir es als kontrollierbar empfinden. Weil wir eben dieses
System aus Rückkopplungen nicht überschauen...

> Alles was außerhalb eines Kreises von ca. 250 Menschen
> um einen herum passiert, können wir momentan evolutionsbedingt nicht
> erfassen bzw. verarbeiten.

Auf der Detailebene. Andererseits wird dir jeder Massenpsychologe
sagen, daß die individuelle Entscheidung eines Individuums nicht
berechenbar ist, die Reaktion einer Masse von Individuen dagegen sehr
wohl. Das Problem liegt wohl eher darin, daß wir viel zu oft die
eigene Entscheidung rational "nacherklären", obwohl sie eine reine
Bauchentscheidung und damit Teil einer "statistischen Vorbestimmung"
war.

Schau dir einfach mal an, wie Aktienmärkte funktionieren. Vor allem
heute siehst du kaum noch rationale Entscheidungen, die tatsächlich
auf unternehmenseigenen Daten basieren. In den meisten Fällen ist
das, was an den Börsen passiert, simples Schwarmverhalten - die
Broker reagieren wie ihre Nachbarn und verursachen bzw. verstärken
dann Trends. Rückkopplungen, Emergenz. Die ganze Finanzkrise kann auf
einen solch systemischen Fehler, einen destruktiven
Rückkopplungseffekt zurückzuführen sein.

Die Frage ist: Aus welchen Gründen wird dieses Systemverhalten
ignoriert? Und dann könnten wir auch ansetzen - Rückkopplungseffekte
durch geänderte Buchführungsvorschriften. Steuern, Verbot von
Interessenüberschneidungen...

Das Problem hier ist IMO kein Problem, daß niemand den Ameisenhaufen
überschaut - das Problem dürfte eher sein, daß hier individuelle
Interessen sich mit Systemdefekten überschneiden und sich so eine
neue Rückkopplung ergibt: DIe, die aus den Systemdefekten Profit
ziehen, sind die, die diese Systemdefekte beseitigen müßten. Dieser
Interessenkonflikt ist nicht auflösbar...

> Es gibt einige Ausnahmen, die etwas mehr
> können, aber das ist dann eher Zufall.

Hmm, es ist meist die Fähigkeit, Einzelheiten ausblenden und dafür
Muster erkennen zu können. Das kann man lernen, mathematisch begabte
Menschen haben da allerdings Vorteile, weil sie hoöhere
Abstraktionsfähigkeiten mitbringen...

> Von daher, versucht jeder
> seinen engeren Kreis abzustimmen und gibt nach außen vor das Ganze zu
> überblicken.

Jepp. Wie gesagt: Rückkopplungen, Emergenz.

> Aus dieser Sicht könnte auch klar werden, wieso die
> Folgen von großen Krisen niemand reell abschätzen kann, sondern nur
> die aktuelle Situation konstatieren kann.

Nun ja, die Folgen von Krisen sowieso nicht, da in Krisen ja die
Regelmechanismen versagen. Die Folgen sind ja dann davon abhängig,
inwieweit die alten regelmechanismen wieder etabliert werden oder
neue entstehen.

"Vorhersagen" können nur auf der Grundlage alter und bekannter
Mechanismen erfolgen. Das ist dann aber doch wie Kaffeesatzlesen, da
die individuellen Reaktionen, die diese Rückkopplungen ja erst
ausbilden, nicht vorhersagbar sind. Die "Rettungsmaßnahmen" gehen
deswegen auch weitgehend davon aus, daß durch diese eine statistisch
berechenbare Reaktion erfolgt, die wiederum einer bekannten
Rückkopplung entspricht und so alte, etablierte Regelkreise wieder in
Kraft setzt.

> Und zeigt, wie wenig sich die Menschheit in der letzten Zeit
> weiterentwickelt hat - ethisch.

Hmm, weil es "die Menschheit" nicht gibt? Aber ich glaube, ich weiß,
was du meinst. Das klingt nur so wahnsinnig fatalistisch.

Ich denke, wir üerbewerten Ethik als rationale Vereinbarung. Eine
funktionierende Ethik muß vorteilhaft für das Individuum sein -
deswegen scheitert "moderne Ethik" sehr oft. Ist glaub ich auch ein
Bildungsproblem - je weniger ein Mensch fähig ist, die Konsequenzen
der eigenen Handlung objektiv und langfristig zu bewerten, desto
weniger erscheint ihm eine moderne Ethik vorteilhaft.

Dieses Problem zeigt sich nicht nur in der Ethik, sondertn auch in
der Betriebswirtschaft, die inzwischen mit ihrer Buchhaltung und
ihren kruzfristig orientierten Empfehlungen auf der Kostenseite blind
ist und blind macht für langfristige Entwicklungen und Rückkopplungen
von außerhalb der eigenen Kapital- und Warenströme.

> Daß es den einzelnen Menschen immer noch nur um den Erhalt der
> eigenen Macht geht und nicht im Gesamtbild denken, zeigt wie wenig
> wir uns seit der Steinzeit weiterentwickelt haben (oder welchen
> Vergleich man auch immer heranziehen will).

Du tust den Steinzeitmenschen unrecht. Biologische
Sozialgemeinschaften mögen teilweise extrem Top-Down ausgebildet sein
und für das Individuum teilweise unnötig hart erscheinen, führen aber
zum effektiven Überleben der Gemeinschaft. In der modernen
Gesellschaft führen aber die sich ausbildenden Hierarchien zur
Desintegration der Sozialgemeinschaften, zum puren Egoismus selbst
auf Kosten des Überlebens der Art. Wir bewerben uns grad sehr
erfolgreich für den Darwin-Award, weil wir einerseits nicht fähig
sind, größere Gemeinschaften mit Ausrichtung aufs Gemeinwohl
auszubilden, andererseits aber auch nicht die alten Sippenstrukturen
aufrechterhalten können.

Biologie und Ethik passen nur insoweit zusammen, daß Ethik der
Versuch ist, einen biologischen Vorteil aus einer Sozialstruktur auf
ein abstraktes, von der Biologie gelöstes Niveau zu heben. IMO wirken
aber in dieser Gesellschaft durchaus Auslesemechanismen, die
sozialfeindliches Verhalten von Individuen bevorteilen...

> dieses Instituts. Ich finde es aber schon sehr erstaunlich, daß sogar
> seriöse Sendungen wie die Tagesschau diese Meldungen als das
> non-plus-ultra der Wahrheit senden.

Outsourcing? Was sollen die sonst senden?

> Sagt dieses Institut etwas Positives voraus, dann stürzen sich alle
> auf diese Voraussagen bzw. Branchen. Gibt es negative Meldungen aus,
> scheint es, als würde das ganze Land in eine Depression verfallen.
> Leichter geht Manipulation wohl kaum.

Manipulation setzt voraus, daß es Manipulateure gibt. Ich gehe eher
davon aus, daß das IFO-Institut dort eine Rückkopplung bildet, einen
der verstärkenden Regelkreise bildet. Denn die regelmäßig
herausgegebenen Daten und Trends beruhen ja auch auf entsprechend
erhobenen Zahlen...

> Viele denken ja, daß dieses Institut staatlich ist und die Infos
> fundiert-verlässlich sind.

Ach, im Grundsatz sind die Daten IMO verläßlich und fundiert. Das
Problem sind eher Prognosen und Folgerungen - also die
institutionelle Kaffeesatzleserei, die ja auf subjektiven
Einschätzungen beruht...

CU

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