bico schrieb am 02.10.2024 11:31:
Ja, die Zeiten ändern sich. Weder die SPD noch Russland sind noch dieselben. Während die SPD aber bis zuletzt sehr Russland-affin war, und unser Land damit in eine fatale Abhängigkeit manövriert hat, wurde aus Russland eine faschistische Mafia-Diktatur, die sich all ihrer Kritiker gewaltsam entledigt. Putin-Freunde finden allerlei Gründe, diese traurige Wahrheit schönzureden, indem sie auf den "noch böseren Westen" verweisen. Fakt ist aber, dass der Faschismus in Russland eine neue Heimat gefunden hat, und auch Willi Brandt dies heute nicht anders sehen würde.
Der amerikanische Spitzendiplomat George F. Kennan hat die Auswirkungen der NATO-Osterweiterung auf Russland schon 1997 sehr ausführlich beschrieben:
Unverblümt gesagt ... die Erweiterung der NATO wäre der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Zeit nach dem Kalten Krieg. Es ist zu erwarten, dass ein solcher Beschluss die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der russischen Öffentlichkeit anheizen, sich negativ auf die Entwicklung der russischen Demokratie auswirken, die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Ost-West-Beziehungen wiederherstellen und die russische Außenpolitik in eine Richtung lenken würde, die uns ganz und gar nicht zusagt.
Kennan beschreibt hier das Endprodukt einer Entwicklung, die schon vor dreißig Jahren vom Westen in Gang gesetzt worden war. Einer Zeitspanne, in der Russland sehr viel Geduld gezeigt hatte, bis es halt so nicht mehr weiter ging. Wenn man will, kann man dieses Endprodukt - so wie Du es tust - schlicht und einfach Faschismus nennen.
Ebenfalls von Kennan stammen folgende Sätze aus seinem Buch "Russia and the West under Lenin and Stalin" aus dem Jahr 1961. Sie mögen Dir dabei helfen, mal über Deine eigene Situation nachzudenken. Ob das Land, in dem Du lebst, nicht auch schon längst dem Faschismus anheimgefallen ist:
Es gibt nichts in der Natur, das egozentrischer ist als eine angegriffene Demokratie. Sie wird schnell zum Opfer ihrer eigenen Kriegspropaganda. Sie neigt dann dazu, ihrem Selbst einen absoluten Wert beizumessen, der ihre eigene Sicht auf alles andere verzerrt. Der Feind wird zur Verkörperung des Bösen. Die eigene Seite ist das Zentrum aller Werte.
Übrigens: Wenn Willi Brandt noch leben würde, dann würde er sich das, was Du ihm in den Mund gelegt hast, verbitten.