Ansicht umschalten
Avatar von Levski
  • Levski

mehr als 1000 Beiträge seit 20.08.2001

Patriotismus, postmoderne Verirrung und jenseits des Nationalismus

Leo Plegger schrieb am 24. November 2005 11:45

> Der Nationalsozialismus ist die Ursache. Eine Reaktion späterer
> Generationen, etwa ab den 60ern wirkungsmächtig, auf das von den
> nationalsozialistischen Verbrechen verursachte totale deutsche
> Desaster ist das Bestreben gewesen, jegliche positive Identifikation
> mit "Land und Leuten" zu desavouieren, kurz zu halten und wie auch
> immer zu verhindern.

Zunächst mal,  die 68er-Bewegung war keine auf Deutschland
beschränkte Angelegenheit. Sie hat in den USA begonnen, war in
Frankreich stärker als in Deutschland und sogar im Ostblock präsent
(Prager Frühling).

> löst oder verhindert. Deshalb wirkten die Schröderschen Appelle an
> "die Wirtschaft", mehr Patriotismus zu zeigen auf mich so grotesk.

Schröder ist einer von den vielen Beliebigkeitsrethorikern. Ich
glaube nicht, dass der weiß was Patriotismus ist.

> Man kann Patriotismus nicht herbei befehlen. Entweder man hat eine
> Affinität zum Eigenen, oder man hat sie eben nicht.

In diesem Sinne bin ich Patriot, auch wenn ich mich in diesem Land
immer unwohler fühle.

> Multikulturelle
> Konzepte in Deutschland scheitern leider daran, dass sie eben diese
> Affinität negativ darstellen - ...

Das ist imho ein wichtiger Punkt. Und hat mit der Postmoderne zu tun.
Und ist auch wieder kein typisch deutsches Phänomen. Das
Multikulti-Projekt der verirrten Postmodernen (die
Beliebigkeitsrethoriker, Gleichmacher und Ego-Absolutisten) ist in
der Tat eine grosse Verlogenheit. "Es gibt keine absoluten Werte",
das ist die richtige Erkenntnis der Postmoderne. Dass es aber
überhaupt keine Werte gibt und keine Unterschiede zwischen den
Menschen (im Kern  haben alle Menschen die gleichen Bedürfnisse und
das gleiche Lebensrecht), das ist die Lüge. Und die kommt aus der
Orientierungslosigkeit der Postmoderne. Sie haben mit Recht falsche
Autoritäten entlarvt und deshalb soll es jetzt gar keine Autoritäten
und keine Hierarchie mehr geben. Das ist der Fehler, das heißt, das
Kind mit dem Bade ausschütten. In den USA kann man jemandem wegen der
absurdesten Kleinigkeit "Diskriminierung" vorwerfen und damit
Prozesse gewinnen (es ist kein auf Deutschland beschränktes Problem).

Damit ich nicht mißverstanden werde, die Nationalismus-Rethorik der
Rechten ist imho Ideologie oder, noch schlimmer, Fundamentlismus. Und
das ist in Deutschland besonders gefährlich.

Was den positiven Aspekt von Wir-Gefühl und Patriotismus betrifft,
sind mir zwei Dinge wichtig. Erstens, es ist eine phasenspezifsche
Angelegenheit. Mit 8 Jahren habe ich keine Ahnung davon, dass ich
Deutscher bin, mit 14 kann es wichtig für meine Entwicklung sein,
wenn ich mich mit diesem Land identifiziere und wenn es gut geht,
kann ich mich mit 40 in New York genau so zu Hause fühlen, wie in
Berlin oder Budapest. Aber ich sollte als 40-jähriger die Meinung
14-Jährigen respektieren (solange er andere nicht schädigt).

Zweitens, die politische Entwicklung ist auf der Welt an einem Punkt
angekommen, wo die nationale Indentität dabei ist ihre Bedeutung zu
verlieren. (Ich meine nicht nur die wirtschaftliche Seite der
Globalisierung, also die neoliberale Inquisition, sondern in erster
Linie das Bewußtsein der Menschen und die Kultur.) Und hier gibt es
kein Zurück mehr. Es sind Lösungen gefragt, die politisch (zur Zeit
ist Politik nur Wirtschaftspolitik) und kulturell supranationale
Lösungen anpeilen. Wie gesagt, phasenspezifisch (zeitlich) und
regional bleibt Patriotismus von Bedeutung. Das zu negieren führt in
den Totalitarismus. Das haben wir auch schon genügend in der Praxis
erfahren.

Habe ich mich hoffentlich klar genug ausgedrückt.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten