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  • shootingbit

415 Beiträge seit 13.04.2019

Medizinische Versorgung und Historie

Die Politik im Gesungheitswesen wirkt für mich im Rahmen ihrer Historie sehr plausibel.

Wie seine Strukturen entstanden sind, wird in folgender Darstellung aufgearbeitet, ebenso die Rolle von Arthur Gütt, Ministerialdirektor (Arzt, Eugeniker und Rassenhygieniker):

Alfons Labisch, Florian Tennstedt, Gesundheitsamt oder Amt für Volksgesundheit? Zur Entwicklung des öffentlichen Gesundheitsdienstes seit 1933
https://kobra.uni-kassel.de/bitstream/handle/123456789/2010031732395/TennstedtOeffentlicherGesundheitsdienst.pdf?sequence=1&isAllowed=y

Hieraus einige Passagen:

"Schon das Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens" (GVG) vom 3.Juli 1934, das - in keineswegs unstrittiger Weise- den organisatorischen Rahmen für die "Vollstreckung" des Erbgesundheitsgesetzes schuf, wird entweder garnicht oder nur seIten erwähnt und in seiner Bedeutung allgemein unterschätzt.(...).
Die Vernachlässigung institutioneller Kontexte in der Globaldiskussion über Ärzte und Medizin im Nationalsozialismus findet eine fatale Pointe auch darin, daß das GVG im Prinzip noch heute in den meisten Ländern der Bundesrepublik Deutschland gültig ist.
(...)
Das Problem des GVG war mithin nicht seine Ausgestaltung, die spätestens seit der 10. Jahresversammlung der Medizinalbeamten 1919 diskutiert wurde, sondern seine Durchsetzung. Gütt war, wie die rasche Folge gegensätzlicher Entwürfe zeigt, deshalb alles recht, sofern nur die Staatshoheit im Gesundheitswesen garantiert war. Zielsetzung und Grundlage des GVG war daher auch nicht, wie es die Nachkriegslegende will, die Beseitigung des Dualismus in der Organisation staatlicher und kommunaler Gesundheitsleistungen.
(...)
Gütt bündelte also die klassischen staatlichen Gesundheitsleistungen, die neuentwickelten kommunalen Gesundheitsleistungen und die nationalsozialistische Erb-und Rassenpflegezu einer Aufgabentrias. Für diese schuf er im Zusammenhang mit anderen, inhaltlich einschlägigen GesetzenundVerordnungen als reichsübergreifende Organisation den öffentlichen Gesundheitsdienst, die Gesundheitsämter und den staatlichen Einheitsmedizinalbeamten in der bekannten Form:'So wird demnach der öffentliche Gesundheitsdienst auch wie bisher die Bevölkerung vor Seuchen und Volkskrankheiten oder schädlichen Umwelteinflüssen zu bewahren haben, aber außer der Fürsorge für das Einzelwesen sind den Gesundheitsämtern und den in ihnen beschäftigten Personen damit neue große Aufgaben übertragen worden, die das Ziel einer erblichen und rassischen Volksgesundheit anstreben!'"

Zu den Gesundheitsdaten schreibt Labisch:

"Aufgrund der dilettantischen Anlage des Gesundheitsstammbuches (nicht einmal Karteikarten!) entstanden in den Ämtern für Volksgesundheit bald gewaltige 'Datenfriedhöfe'. Schon am 15. November 1935 befaßtens ich die Verwaltungsstellenleiter der Ämter mit den gerade angelaufenen Massenuntersuchungen und kamen zu dem Ergebnis: 'Bei den Untersuchungen für die DAF ist langsam zu drehen! Von 10 Millionen neu angeforderten Gesundheitsbogen sind erst 250000 abgegeben.' Auch die Notwendigkeit der Fremdfinanzierung wurde betont: 'Jeder Gesundheitsbogen, der in Zukunft von der Gauamtsleitung angefordert wird, muß von der DAF, JH, SA, SS usw.bezahlt werden. Es kostet ein Gesundheitsbogen 2 1/2 Pfg., eine Tasche dazu 6 Pfg.' In der Regel war das Ausfüllen und die Aufbewahrung des Gesundheitsstammbuches für die beteiligten Ärzte außer ordentlich lästig, obwohl sie für jede untersuchte Person jährlich eine Gebühr von etwa 5RM erhielten"

Labisch zu den Kassenärzten:

"Funktion der Kassenärzte: Sie waren gleichsam vorgeschobene, in der Lebenswelt des 'Siebungsgutes' agierende Beobachterim Dienste des staatlichen Filters. Zu diesem Zweck war die ärztliche Schweigepflicht gegenüber den zuständigen staatlichen Stellen -nicht jedoch gegenüber den Betroffenen- aufgehoben worden."

Sieht man Gesundheitspolitik nun im historischen Kontext, so hat sich funktionell nicht viel verändert. Es wurden lediglich diverse Bereiche in den privaten Dienstleistungssektor verlagert.
Medizinische Versorgung darf meines Erachtens keine Dienstleistung mit pecuniärer Leistungs-Staffelung sein, sondern muß im Grundgesetz als allgemeiner Rechtsanspruch (Grundrecht) für jeden Bürger Niederschlag finden.

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