rumbero schrieb am 03.11.2018 01:37:
Re: Den Schleier des Nichtwissens kannte ich noch nicht
Ein interesanter Ansatz, aber wie schafft man einen Urzustand mit Menschen, die erwachsen sind und daher eigentlich schon eine Prägung haben? Wie soll das funktionieren, das alle Menschen gleich sind, was ja eigentlich dem Wesen des Individuums mit seinen unterschiedlichen Fähigkeiten und Schwächen widerspricht?
Der Schleiers des Nichtwissens ist nur ein Gedankenexperiment.
Also keine Chance sowas zu verwirklichen.
Und es gibt bei dem wie Rawls das andenkt überdies noch das grundsätzliche Problem, die Gruppe derer zu definieren, die dabei stimmberechtigt sind. Eine Gesellschaftsordnung betrifft schließlich nicht nur eine einzige Generation und wie kommt man dann zu einer Gerechtigkeit bezüglich aller Menschen über alle Zeiten hinweg? Deren Existenz oder Nichtexistenz ist von der Art des Systems abhängig, für das man sich entschieden hat.
Damit wird es dann selbstbezüglich.
Und Modelle für Systeme mit Selbstbezüglichkeit sind ähnlich verwirrend wie Zeitreiseparadoxien.
Bedeutender bezüglich unsere Diskusion ist allerdings, dass es sich um ein Gedankenexperiment handelt, mit dem man sich der Frage nach Gerechtigkeit gerade unter der Voraussetzung von Ungleichheit zu nähern versucht.
Menschen sind weder alle gleich, noch haben sie alle die gleichen Bedürfnisse und das dann ja auch wohl schon vor jeder Sozialistion und Prägung.
Es geht bei einem realistischen Ansatz für Gerechtigkeit also darum, möglichst vielen Menschen möglichts viele ihrer jeweils unerschiedlichen Bedürfnisse zu befriedigen und die Lösung jeder bekommt das Gleiche wie alle anderen, taugt dazu wenig.
Aber so schwierig die gerechte Verteilung der Güter auch schon sein mag, das ist dabei wohl nur ein Nebenproblem.
Schließlich sind die Positionen, die von Menschen innerhalb einer Gesellschaft eingenommen werden können, nicht alle gleich. Das ist auf der Funktionsebene klar, aber darüber hinaus gibt es auch noch die Wertschätzungsebene. Und aufgrund der Verschiedenheit der Positionen und der ihr zudefinierten Bedeutung, entsteht das Potential für ein individuell negatives Erleben, wenn jemand erkennt, dass irgendwer anderes, sich "unberechtigter Weise" in einer "höheren" Position befindet.
Rawls, vermutlich betört vom american way and dream of life und damit bleibt er vor allem auf der Ebene der Güter, kommt mit seinen Überlegungen nun zu einer Gesellschaftsordnung und Entwicklung, in der es jedem frei steht, alles zu tun was er will, solange es sich dabei um einen "Zug" in einem absolut positiven Plussummenspiel handelt. Das bedeutet, dass dabei nicht nur die Gesammtsumme über die befriedigten Bedürfnisse Aller gestiegen ist, sondern das es dadurch für jeden zu einem Mehr an Bedürfnisbefriedigung kommt.
Die Differenz zwischen der Größe der Bedürfnisbefriedigung verschiedener Menschen spielt dabei allerdings keine Rolle.
Es ist somit in diesem Systm kein Problem, wenn einer eine Million einzusacken, solange dabei für alle anderen zumindest ein Cent abfällt.
Nur das jemand zu seinem Eigenvorteil einem andere etwas wegnimmt das ist nicht zulässig.
Eine Gesellschaft in der es ein riesiges Wohlstandsgefälle gibt ist damit nicht ausgeschlossen.
Ralws geht aber davon aus, dass das das System ist, für das sich die Mehrheit der Menschen unter dem Schleier des Nichtwissens entscheiden wird.
Selbstverständlich setzt er dabei auch voraus, dass Menschen ihre Entscheidungen aus Vernuftsgründen treffen.
Mein daran angelehnter Vorschlag war dann: man solle, wenn man den Eindruck habe, man selbst oder jemand anders sei durch gesellschaftliche Strukturen oder Prozesse irgendwie benachteiligt, darüber nachdenken, in welcher anderen Biographie es sich nun besser leben ließe, das aber auch mit allen Konsequenzen, die in dieser Alternative zu (er)tragen sind.
In vielen Fällen entsteht meiner Ansicht nach, die Unzufriedenheit mit der Ungleicheit, die dann als Ungerechtigkeit erlebt und behauptet wird, aus einem einseitigen Blickwinkel auf nur einen Teil des Ganzen.
In etwa so: Ich sehe das neue Auto meines Nachbarn, das der sich leisten kann, für das ich aber gerade kein Geld habe. Allerdings entgeht mir dabei das Boot welches ich mir im letzten Jahr gekauft haben und das ich halt abbezahlen muss.
In einer Daseinssituation der Individuen gibt es wohl immer etwas, das ein anderer hat, ich aber nicht.
Gleichzeitig gibt es ebenso Belastungen, denen der Andere ausgestzt ist, von denen ich aber frei bin.
Damit wird ganz entscheident, auf welche der Komponenten ich schaue.
Und das läßt sich nun wohlmöglich auch auf den Geschlechterpaygap anzuwenden.
Wie sieht es mit einer Unternehmensstrathegie aus, bei der vor allem Frauen eingestellt werden? Wenn die nämlich bessere (produktivere) Jobs für weniger Lohn machen, dürften das doch sehr einträglich sein.
Gibt es bereits viele derartige Unternehmen und wenn nicht, warum nicht.Das würde die "Ungerechtigkeit" nur auf die andere Seite verlagern und ob der Zielrichtung auch noch eine zusätzliche Ausbeutung bedeuten.
Bei diesem Beispiel ging es mir ja auch nicht darum einen Vorschlag zur Gerechtigkeit zu machen, sondern darum darauf hinzuweisen, dass da etwas nicht so ganz stimmig ist.
Wenn es Arbeitskräfte gibt (Frauen), die bei niedigerer Bezahlung die selbe Arbeitsleistung erbringen, dann wird jedes Unternehmen das diese beschäftigt profitabler und kommt damit einen Vorteil gegen die Konkurenz der Unternehmen, die bevorzugt Männer beschäftigen.
Es würde dann, ganz ohne Quotenreglung und einzig aufgrund der Marktgesetze dazu führen, dass immer mehr Unternehmen solch ein Personalkonzept umsetzen würden.
Klar wäre es verbunden mit einem Mehr an Ausbeutung, keine Frage. Aber darum ging es ja gerade nicht, sondern um die Frage wieso ein System, das auf jeder Ebene auf Ausbeutung aus ist, diese Chance zur erhöhten Ausbeute nicht nutzt.
Es sollte hierfür dann doch eine schlüssige Erklärung geben.
Männer würden benachteiligt, weil sie "teurer" sind, Frauen würden nur wegen ihres "billigen" Status und ihrer erhöhten Produktivität eingestellt. Es würde die Gesellschaft noch mehr spalten.
Ja klar. Und um diesen Nachteil auszugleichen, müßten die Männer dann halt "billiger" werden.
Nun sind Männer als solche, zumindest biologisch bewertet, eh relativ billig.
Sie sind auf der Ebene der Natur so billig, dass sie seit jeher bedenkenlos in vielerlei Hierarchisierungsspielchen gegeneinander antreten, weil die dabei dann höher plazierten weit bessere Reproduktionschancen haben.
Ich denke, gesellschaftliche Ordnungen und soziale Hierarchiepyramieden sind, und dann wohl auch, zumindest Teile der Organisation des wirtschaftlichen Systems, solche männlichen Konkurenzspiele.
Ich glaube, die Näherin in Bangladesch oder Indien befinden sich in genau so einer Situation;- sie sind billig und da sie gesellschaftlich unterhalb der Männer stehen, sind sie auch leichter durch Drohung oder Einschüchterung leichter zu manipulieren.
Das macht die gnadenlosen Marktdynamik offensichtlich.
Aber warum entstehen dann nicht, aufgrund genau dieser Ausbeutungsdynamik überall Software Schmieden, in denen nur unterbezahlte, brilliante, ukrainische Programmiererinnen beschäftig werden?
Die Antwort von Jordan Peterson darauf ist übrigens:
Weil die meisten schlaue Frauen mit ihrem Leben noch etwas anderes anzufangen wissen, als auf dem Weg nach oben in einer 60-80 Stundenwochen im Karierehamsterrad ihrem Tod entgegen zu hetzen.