Wir haben zwar jede Menge Körperschaften, die sich mit Arbeitsschutz und der Einhalten gewisser Standards beschäftigen, wir haben Kassen & Innungen aller Art, aber man hat den Eindruck, dass die eher teure Kröpfe sind, statt ihren Job richtig zu machen. Das merkt man vor allen Dingen dann, wenn man mal mit einem Handwerkermeister sich unterhält: der ist gewungen, in der Innung zu sein, muss einen Beitrag entrichten, aber Gegenwert erhält er keinen dafür. Zahlen lassen ohne Gegenwert zu liefern ist in Deutschland aber leider Geschäftsmodell Nummer 1 geworden.
Überall dort, wo es eklig, laut und belastend wird, schauen alle weg. Die Innungen, die Kassen, die Körperschaften und ja, auch die Gewerkschaften. Und die Gesellschaft hat nichts als Verachtung übrig für diejenigen Gewerkschaften, die ihren Job noch so machen wie vor 100 Jahren: für ihre Arbeiter zu kämpfen. Dazu zählt für mich die äußerst unbequeme GDL, die für bessere Arbeitszeiten einer Arbeitnehmergruppe kämpft, die für die Sicherheit ihrer Fahrgäste besonders in Verantwortung steht: die Lokführer.
Ich bin ehrlich: wenn ich einer Operation bedarf, möchte ich nicht von einem Chirurgen operiert werden, der schon 22 Stunden auf den Beinen steht, weil "24-Stunden-Schicht". Möchte ich nicht. Der Mann kann eine Kapazität sein auf dem Gebiet, aber nach so langer Zeit ohne Schlaf ist man durch und macht fehler.
Ich möchte auch nicht von einem Lokführer durch die Landschaft gefahren werden, der über seiner Zeit ist, aber nicht abgelöst wurde. Der vielleicht schon seit 8 Tagen im Einsatz ist und ein Wochenende dringend nötig hätte und entsprechend fahrig wird. Ich möchte, dass der Lokführer bei vollem Bewusstsein und Konzentration seinen Job macht. Und wenn das bedeutet, dass er nur noch 35h in der Woche arbeiten darf und zwei garantiert freie Tage am Stück bekommen muss, dann muss das durchgesetzt werden von seiner Gewerkschaft.
Genauswenig möchte ich im Flugzeug sitzen, wenn der Pilot sichtlich übermüdet sich Richtung Cockpit bewegt. Natürlich gibt es einen Copiloten, der übernehmen kann. Aber wenn der grad mal austreten muss und der andere schläft ein, soll's auch nicht förderlich für die Nerven sein.
Mir fallen gerade eine ganze Menge Jobs ein, die schlichweg "übersehen" werden von den Gewerkschaften. Klar, die davon Betroffenen sind ja in keiner Gewerkschaft organisiert. Wenn sie es versuchen, verlieren sie ihren Job. Da fallen mir wirklich viele, viele Branchen ein. Generell fallen alle Mindestlöhner darunter, die schlichtweg zu wenig verdienen, egal, was sie machen. Der Mindestlohn reicht kaum zum Leben in Deutschland, mehr "Mittelfinger" gibt's nicht vom Chef: "die Arbeit möchte ich nicht machen, sie ist nicht viel wert, aber ich muss dir den Mindestlohn zahlen, weil der Gesetzgeber das so verlangt". That's the message.
Ansonsten hätte ich "unfaire" Jobs im Angebot:
- Fernfahrer. Ständig unterwegs. 9 Stunden formale Lenkzeit, aber nie zu Hause. Es werden nur Zeiten für's Fahren, Beladen und Entladen gezahlt. Wartezeiten, auch über's Wochenenden und Feiertage, die man am Bock verbringen muss, werden nicht bezahlt. Warum eigentlich nicht?
- Pflegepersonal. Arbeiten, bis man selbst einen Arzt braucht. Tag um Tag, teils 10 oder mehr am Stück, ist man auf Station. Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht, im dümmsten Falle rollierend. Auch am Wochenende brauchen Patienten Pflege. Die Personaldecke ist seit Jahren viel zu dünn und sie schrumpft noch weiter. Teils sind Nachts die Stationen nicht mehr besetzt. Den Job attraktiv gestalten ist fast unmöglich, auch, weil schon lange auf Substanz gelebt wird. Man müsste erstmal so viele Menschen finden, die im Pflegebreich arbeiten wollen, selbst wenn man die Bedingungen in Abhängigkeit der Mehrbeschäftigung schönrechnen kann.
Am Ende des Tages geht es ohne erhebliche Zugeständnisse vom Arbeitgeber gar nicht: mehr Gehalt, besseres Zeitmanagement, keine rollierenden Schichten, garantiert freie Wochenenden im Monat und Klärung der Oster-/Weihnachtsfeiertage.
An der Stelle kommt mir übrigens die Forderung nach 4-Tage-Woche und verbrieftem Recht auf Homeoffice ein bisschen wie Hohn vor: es gibt jede Menge Jobs, die können nicht einfach verdichtet und relokalisiert werden. Die Freiheitsgrade gibt es nur im Büro, in Kreativjobs oder bei Forschung & Entwicklung. Den Laptop kann ich überall mitnehmen, das Programm darauf auch. Telefonieren ist ortsunabhängig. Ich muss am HO-Tag nicht einmal zu Hause bleiben, sondern kann mich erst in einen Biergarten, dann in ein Café setzen und von dort aus arbeiten.
Natürlich wir der Arbeitstag u.U. länger, weil die Stechuhr fehlt. Aber selbst wenn ich mal den einen Tag in der Woche im Homeoffice 10+ Stunden arbeite, spielt das nicht halb so kaputt, wie die "Pflegewoche" mit 10 Arbeitstagen. Ich bin körperlich an die Wand gespielt, wenn ich abends den Laptop runterfahre. Und ich kann das Telefon auch mal ignorieren: auch der Chef weiß, dass im Homeoffice die Arbeitszeiten gelten und wenn ich früh um 8 im Meeting war, muss ich abends um 20 Uhr nicht mehr erreichbar sein.
Die 4-Tage-Woche wäre nice: ich würde ja gern auch nur 35 Stunden arbeiten, jeden Tag 9 Stunden, dann bin ich am Donnerstag fertig. Ich hätte dann gepflegt drei Tage frei und wäre richtig schön erholt am Montag. Aber es gibt ja noch attraktivere Varianten: Dienstags bis Freitags beispielsweise, dann fällt der Montag aus. Und, aus eigener Erfahrung heraus am erholsamsten ist die "geteilte" Arbeitswoche. Montag und Dienstag arbeiten gehen, Mittwoch frei, Donnerstag und Freitag arbeiten, dann wieder Samstag und Sonntag frei. Die "eigene Erfahrung" bezieht sich auf mehrere am Mittwoch genommene Urlausbtage über die Jahre - die so "geteilte" Arbeitswoche fühlt sich am wenigsten anstrengend an.
Aber auch hier: im Pflegebereich ist das einfach nicht möglich. Beziehungsweise, doch, man könnte schon formal die 4-Tage-Woche einführen, dann müsste man das Personal halt versetzt einsetzen. Der Turnus wäre dann aber nicht auf 7 sondern auf 8 Tage ausgelegt: 2-2-2-2 - also je zwei Tage arbeiten, dann zwei Tage frei. Mit einem vernünftigen Arbeitszeit- und Pausenmanagement könnte man sogar das Schichtsystem umstellen auf ein "4-Schicht-Modell":
Die Schichten selbst decken je 12 Stunden ab: 7:00 bis 19:00 Uhr und 19:00 bis 7:00 Uhr. Damit aber nur maximal 10 Stunden gearbeitet werden, sind 2 Stunden Pause mit unterzubringen. Es sind mindestens zwei Pausen einzulegen, es können auch mehrere Pausen festgelegt werden und die kürzeste Pausendauer ist auf 15 Minuten definiert.
Das sind doch nur ZWEI Schichten? Richtig. Aber da je zwei Tage gearbeitet werden und dann zwei Tage frei sind, müssen die freien Tage ja auch abgedeckt werden durch die Schichten 3 und 4 ;-)
Natürlich könnte ich mich jetzt ewig damit aufhalten, aber das bringt ja hier an der Stelle nichts. Und ich schulde noch wenigstens ein drittes Beispiel:
- Reinigungskräfte, handwerkliche Dienstleister sind auch so richtig mies bezahlte Jobs. Da freuen sich die dort tätigen Menschen über "geteilte Schichten", "höchste Flexibilität und Mobilität" und müssen unter teils unwürdigen Bedingungen ihr Tagwerk vollbringen. Hier fehlt es an grundsätzlichen Regeln zum Schutz vor Ausbeutung. Auch Minijobber können und sind davon betroffen. Gewerkschaften interessieren sich nicht für diese Gruppe & die Regierung erst recht nicht. Entsprechend herrscht hier regelrecht "Wilder Westen". Die meist in finanzieller Zwangslage befindlichen Beschäftigten haben nicht das Geld für einen Rechtsstreit und können folgerichtig auch ihre Ansprüche gar nicht durchsetzen.
Hier ist mir eine Person bekannt, die einen Nebenjob angetreten hat, weil "Geld knapp". Bewerbungen kann sie als Person mit MiHiGru nur sehr schlecht formulieren, so dass sie nicht einmal sich bei Lidl oder bei einer Tankstelle auf einen Minijob bewerben kann. Statt dessen ist diese Person auf Handschlag bei einem, nennen wir es mal "Exotischen Spezialitätenhändler" angestellt. Der Betreiber zahlt 12,50 Euro Mindestlohn und lässt jeden Samstag 10 Stunden arbeiten. Pausen soll die Person nicht machen, weil "Anwesenheitszeit = Arbeitszeit".
Solche Arbeitsverhältnisse gibt es sicherlich nicht wenige, eben gerade dort, wo die Betroffenen das Geld dringend brauchen, sich aber nicht für bessere Bedingungen engagieren können.
Es gibt so viele Baustellen allein auf dem 2. und 3. Arbeitsmarkt, würde man heute eine "Gewerkschaft der Entrechteten" gründen, die wäre auf Jahre hinaus beschäftigt und könnte doch nur an der Oberfläche kratzen. Und natürlich müsste auch diese "GdE" irgendwie finanziert werden - doch wie soll jemand, der nichts hat, auch noch den geringsten Obolus abtreten für diese Gewerkschaft?
Wieviele arbeitende Menschen können nur von ihrem Recht träumen, weil sie es gar nicht durchsetzen können mangels Finanzierung des Anwalts?