Ich bin ja eigentlich ein Fan von Heiner Flassbeck und lese fast alles was er veröffentlicht. Sein Artikel „Gibt es nur eine Alternative im Nirgendwo“ irritiert mich allerdings. Oder…ich weiß nicht so genau, worauf der Heiner da eigentlich raus will.
Wenn er ganz am Schluss den Linken ein Godesberg empfiehlt, also ein Abschwören von der sozialistischen Utopie, dann würde ich antworten: „Ob das der SPD wirklich so gutgetan hat, ist ja auch nicht wirklich erwiesen“. Man könnte seine Aussage auch damit abtun, dass er als bekennender Schumpeterianer gar nicht anders kann. Für Schumpeter ist die Lichtgestalt auf Erden schlechthin der „kreative Kapitalist“, der permanent verändert, innoviert und die Wirtschaft nach vorne treibt. Kapitalismus ist für Schumpeter ein ewiges System, das mit statischen Gesetzmäßigkeiten nicht zu fassen ist und letztendlich die menschlichen Bedürfnisse immer besser befriedigt. Wenn man‘s so sieht, ist die Aussage „Sozialismus im Nirgendwo“ schlicht tautologisch und eigentlich überflüssig, weil, wenn Kapitalismus immer währt, wo kann der Sozialismus, die wirtschaftliche Alternative, dann nur sein? Genau, im Nirgendwo.
Nun sagt der Flassbeck, das Beharren der Linken auf einer wirtschaftliche Alternative zum Kapitalismus sei der eigentliche Grund für ihr sektenhaftes Wahlergebnis. Nun, zum einen ist das Dasein der Linken mit 9 % gar nicht mehr so sektenhaft, wie noch vor wenigen Jahren. Zum Zweiten hat der Begriff des Sozialismus, auch wenn sich jeder etwas anderes darunter vorstellt seinen Schrecken in weiten Teilen verloren. Bernie Sanders ist als Sozialist aufgetreten, gut zugegeben Sozialismus fängt für den Amerikaner bei der Krankenversicherung an, ohne diese Provokation hätte er vermutlich keine so große Resonanz gefunden. Jeremy Corbyn ist ein weiteres Beispiel. Bei beiden lagen fast alle renommierten Politologen, Soziologen und Politiker mit ihren Einschätzungen, ein linker, „ideologischer“ Wahlkampf könne nicht erfolgreich sein, grottenfalsch.
Und selbst Thomas Walde hat es im Heute-Interview nicht geschafft, seine Sozialismuskeule gegenüber Sarah Wagenknecht wirksam zum Einsatz zu bringen. Sie hat einfach mit der Post, die früher ja schon mal in Staatsbesitz war, gekontert, oder darauf hingewiesen, dass die Vergesellschaftung einer Bank, die der Staat faktisch schon gekauft hat, wohl auch kein so schweres Verbrechen sein könne.
Also, alles in allem ist der Kapitalismus inzwischen soweit heruntergewirtschaftet, dass wirtschaftspolitische Alternativen, auch wenn sie in der Zukunft liegen, den Menschen eher Hoffnung geben, als sie in Schrecken zu versetzen. Und wenn man nicht alles, was heute ist als Kapitalismus begreift, wird man feststellen, dass es überall kleine sozialistische Inseln gibt, die teilweise schon lange im Kapitalismus gedeihen. Dies ist der öffentliche Sektor, also z. B. kommunale Verkehrsbetriebe, die Stadtwerke, aber auch Baugenossenschaften, die sich tapfer gegen den spekulativ getriebenen Wohnungsbau behaupten. So weit im Nirgendwo liegt der Sozialismus oder die wirtschaftliche Alternative nun auch wieder nicht.
Mit seiner Kritik der sektiererischen Linken, die sich bei „Der Linken“ derzeit auf die Flüchtlingspolitik eingeschossen hat, liegt Flassbeck sicher richtig. Dieses Phänomen ist aber so alt wie die Linke insgesamt. Immer gibt es die Gralshüter der sozialistischen, marxistischen oder sonsteiner Wahrheit, die jedes Abweichen, jeden Kompromiss als Verrat an der reinen Lehre begreifen. Das sind aber eher Probleme des moralischen Rigorismus oder einer romantischen Suche nach dem edlen Wilden, der diesmal nicht auf einer Südseeinsel, sondern im zukünftigen Land des Sozialismus, der nicht durch Realität befleckt werden darf, zu finden ist.
Also lasst uns Wege suche und auch finden, die zu einer Gesellschaft mit menschlichem Antlitz, ohne Ausbeutung und Kriege führen. Ich jedenfalls nenne ein solches Land weiterhin Sozialismus.