Hat Deutschland eigene nationale Interessen?
Donnerstag, 25. August 2016
Willy Wimmer, Staatssekretär a.D. am Telefon im Gespräch mit World Economy
WE: Hat Deutschland eigene nationale Interessen? Wenn ja, welche und woran?
WIlly Wimmer: Das ist bestimmt die schwierigste Frage, mit der wir es überhaupt zu tun haben. Man muss sich die Umgebung ansehen, in der wir leben. Nach dem Ende des Kalten Krieges ist es besonders deutlich geworden, wenn wir uns die großen Mitspieler in Europa und darüber hinaus ansehen.
Man kann, ausgehend von den Erfahrungen, die wir seit 1990 gemacht haben, durchaus folgendes sagen: Die Vereinigten Staaten wollen unser ökonomisches Potential und unsere Soldaten für ihre globalen Angriffskriege. Die Briten agieren in Europa sowieso über die City of London, die außerhalb jeder parlamentarischen Kontrolle steht und sie wollten auch für ihre militärischen Operationen die Kommandogewalt über das deutsche Militär.
Wenn wir uns unsere Lieblingsnachbarn - die Franzosen - ansehen, so ist es seit einer Reihe von Jahren offenkundig, dass die Französische Republik für ihre moderne Kolonialpolitik in Schwarzafrika, natürlich, deutsche Soldaten haben will und über die Europäische Union die Kontrolle über unser ökonomisches Potential.
Wenn wir nach Osten blicken, dann fällt uns auf: Die Russische Föderation will eigentlich nur mit uns zusammen arbeiten und will keine deutschen Soldaten. Was die Chinesen betrifft - die haben selbst von allem genug - vom ökonomischen Potential und natürlich auch, was die militärischen Möglichkeiten angeht.
Wenn wir unter diesen Umständen eine den nationalen Interessen entsprechende Wahl treffen könnten, wäre das wegen der global-politischen Auswirkungen vermutlich das Letzte, was die Deutschen machen könnten. Das würde zu einer so erheblichen Verwerfung auf global-politischer Ebene führen, dass unsere Verbündeten das nicht zulassen würden und es wäre vermutlich der letzte deutsche Tag.
Das ist die Situation mit der wir es zu tun haben, wenn man es nüchtern sieht. Und deswegen kommt es für uns existenziell darauf an, in dieser schwierigen Situation dennoch eine Politik der guten Nachbarschaft zu betreiben und dies insbesondere gegenüber der Russischen Föderation. Weder die Russen, noch die Deutschen sind an einem Krieg interessiert, während im amerikanischen Kongress offen darüber gesprochen wird.